Ostküste 2018

Der Tag der Sifakas

Diademsifaka
Diademsifaka

Gegen vier Uhr weckt mich ein markerschütternder Schrei. Es folgen diverse weitere, bis ich halbwach erkennen kann, worum es sich handelt: Ein Gabelstreifenmaki scheint gerade seinen Unmut über einen Konkurrenten im Revier herauszubrüllen. Ich döse nochmal weg und werde gegen Sechs – etwas liebevoller – vom Gesang der Indris geweckt.

Unser erster Tag in Andasibe beginnt gemütlich mit dem traditionellen Zebu-Sandwich (diesmal ohne Gemüse). Christian und Rapha bringen uns zum Park Office von Analamazaotra. Unser Guide ist heute Edwin, der schon fertig gerüstet mit seinen Gummistiefeln, Trekkingweste und Basecap am Hauseingang wartet. Durch das Office geht es zur Hintertür nach draußen und auf den Rundweg. Wir kommen nicht besonders weit. Edwin entdeckt einen winzigen, grün marmorierten Frosch, dessen Name sehr passend ist: Scaphiophryne marmorata. Ganz in der Nähe gibt es noch einen zweiten der gleichen Art zu bewundern – das kleine Tierchen zu fotografieren, ist allerdings nicht ganz einfach. Es sitzt so perfekt getarnt zwischen Moos und Farnen und ist so klein, dass bereits das Fokussieren eine Kunst ist.

José hat auf einer dicken Liane derweil ein hübsches Weibchen von Calumma brevicorne gefunden, das auch einiger Fotos bedarf. Weiter vorne blinzelt derweil ein blauer Coua durch die Äste – aber er ist schnell wieder davon gehüpft. Ich schultere den schweren Fotorucksack und laufe in Richtung einer kleinen Lichtung, an der sich der Weg gabelt. Als alle fertig sind, steigen wir mit Edwin einen Hügel nach oben. Wir wollen schauen, ob wir die Indris finden können. Irgendwo geht Edwin ein Stück querfeldein in den Wald. In der Ferne erahne ich etwas durch das Geäst springen, aber die schwarz-weißen Schatten sind sehr weit oben. So richtig erkenne ich nicht viel.

Schließlich sind die Indris schneller davon gehüpft, als ich sie wirklich gesehen habe. Schade. Ich tapere den Hügel weiter, Edwin und den anderen wieder auf dem normalen Weg folgend. Plötzlich geht es wieder querfeldein nach unten. Kaum ein paar Meter über unseren Köpfen spielt eine Familie Diademsifakas. Sie hängen kopfüber vom Baum, kabbeln sich und sind völlig ins Spiel miteinander vertieft. Ein halbwüchsiges Jungtier ist besonders aktiv und spielt mit einem größeren Weibchen.

Die Diademsifakas scheinen uns überhaupt nicht zu bemerken – oder sich nicht an unserer Anwesenheit zu stören. Völlig vertieft in ihr Spiel kommen sie immer weiter nach unten, bis das Weibchen und das Jungtier nur wenige Meter vor meinen Füßen am Boden sitzen. Der eine schubst den anderen an, dann kugeln sie kopfüber den Hang nach unten. Kaum unten angekommen, springen sie niedrig in den Bäumen zurück, um sich dann wieder, zu einer einzigen, gold-weißen Fellkugel verschlungen, erneut den Hang herunter zu kullern. Das Spiel der Sifakas ist faszinierend und wunderschön anzuschauen. Völlig ungestört tollen sie auf dem Boden herum und kugeln mal hier hin, mal dort hin. Mal schaut ein Babyfuß aus dem Fellknäuel heraus, mal blitzen neugierige dunkle Augen hinter den Ästen hervor. Mal hängt kurz ein Schwanz vom Ast, dann wieder rollt eine gemischte Sifakakugel den Hang hinunter.

Zum Fotografieren sind die Tiere inzwischen viel zu nah, aber der dichte Wald lässt hier sowieso nur wenig Fotos zu. Trotzdem ist es ein unglaubliches Erlebnis – wilde Sifakas so nah zu erleben und ihnen derart ungestört beim Spielen zuzusehen, dürfte ziemlich einmalig sein. Ich habe keine Ahnung, wieviel Zeit vergangen ist, als Edwin zum Aufbruch ruft.

Diademsifaka

Als wäre das Spiel der Diademsifakas nicht schon genug glücklicher Zufall gewesen, haben wir heute doch noch mehr Glück mit den Indris. Edwin entdeckt sie an einer anderen Stelle wieder, und diesmal kann er uns so in den Wald hinein lotsen, dass wir direkt unter einer Gruppe Indris zu stehen kommen. Eines der Tiere sieht uns und beginnt prompt zu singen – immer wieder ein Gänsehautmoment. Was weniger Gänsehaut verursacht, ist mein nicht funktionierendes Tonaufnahmegerät. Ich vermache es schließlich José. Er wird schon herausfinden, wie man es verwendet. Vielleicht wäre es geschickt gewesen, zu Hause mal die Bedienungsanleitung zu lesen.

Am Nachmittag unternehmen wir noch einen kürzeren, aber nicht weniger fotoreichen Ausflug in den Orchideen-Park. Direkt am See sind gar nicht mal so wenige Tiere unterwegs. Wunderschöne Calumma parsonii cristifer-Männchen gibt es hier, mit leuchtendem Grün, Türkis und Orange. Mein persönliches Highlight ist jedoch viel kleiner, stacheliger und rennt schneller durchs Gras, als man hinterher kommt: Ein Streifentenrek! Das niedliche Tierchen hat winzige schwarze Knopfaugen und stellt wütend seine Stacheln auf, als eine Hand ihn am Weiterlaufen hindern will. Mit Igeln verwandt sind die Tenreks übrigens nicht. Sie sehen nur sehr grob ähnlich aus.

Streifentenrek
Streifentenrek

Irgendwann später geht es schließlich wieder zurück ins Hotel. Ein zauberhafter Tag voller zauberhafter Tiere geht zu Ende. Ich bin sehr gespannt, was die nächsten Tage noch auf Lager haben. Offenbar gibt es sogar in „altbekannten“ Gegenden wie Andasibe jedes Jahr doch noch etwas Neues oder noch Schöneres zu sehen.

Veröffentlicht von Alex

Alex ist 35 Jahre alt, wohnt in der Nähe von Mainz und ist im echten Leben fernab des Urlaubs Tierarzt mit Faible für Reptilien. Sie fotografiert und reist gerne - so entstand auch dieser Blog. Nebenbei hält sie selbst Chamäleons zu Hause, schreibt an wissenschaftlichen Veröffentlichungen, betreibt ein kostenloses OnlineMagazin und erstellt Malbücher für madagassische Kinder.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.