Nordosten 2015

Schlemmertag

Mangostan - das Obst der Götter!

Als ich aufstehe, schlafen die meisten noch. Der ein oder andere, der etwas später zum Frühstück schlurft, scheint einen Kater zu haben – ob das wohl vom Wein oder eher vom Rum kommt? Da wir nun mehr Leute sind als gestern früh, wird auch das Frühstück entsprechend chaotischer. Dieses Jahr läuft einfach gar nix bei den Mädchen, die für die Bedienung zuständig sind. Die meisten bestellen das Continental-Frühstück, allerdings bekommt nur jeder dritte per Zufallsgenerator auch tatsächlich was. Ich begnüge mich mit einem Sandwich ohne jegliche Sonderwünsche. Das ist genau ein Teller mit einem Essen, und entsprechend bekommt die Küche das hin. Und die Bedienung. Bei „Ananassaft, Spiegelei, Kaffee, Baguette“ vs. Sitznachbar „Curasol-Saft, nur ein Tee, ein bisschen Rührei und kein Baguette“ sieht das leider ganz anders aus. Ich schaue dem Chaos eine Weile zu, aber selbst handgeschriebene Zettel können das Unvermögen in der Küche nicht lösen. Manchmal muss man auf Madagaskar einfach aufgeben.

Aufgegeben hat übrigens auch mein linker Meindl-Schuh. Nach insgesamt neun Wochen Madagaskar über drei Jahre ist eine Naht vorne am Schuh lose, und das Leder öffnet sich ein wenig. Ich habe große Bedenken, dass der Schuh noch ein zweites Mal Marojejy übersteht. Aber Dimby meint, dass wir das bestimmt nähen können.

Dimby kauft Reissäcke
Dimby vermittel Reissäcke

Immerhin lässt uns das Wetter heute nicht ganz im Stich. Es ist zwar bedeckt, aber trocken. Nachdem alle mehr oder minder gut gefrühstückt haben, laufen wir in die Stadt, um Reissäcke zu kaufen. Die werden uns sowohl in Nosy Mangabe als auch in Marojejy noch nützlich sein. Tatsächlich gibt es in Maroantsetra entlang der Hauptstraße ganze Marktstände, die nur leere Reissäcke verkaufen. Dimby betätigt sich als Dolmetscher, setzt sich auf einen großen Stapel Reissäcke und erklärt, wofür wir die Säcke brauchen und wieviele welcher Größe was kosten. Als alle eingedeckt sind, suchen Dimby und ich nach einem Marktstand, der Nähmaterial anbietet. An einem großen Stand mit Hunderttausend Kleinstteilen werden wir fündig. Oder vielmehr Dimby wird fündig, denn ich hätte weder die Nadel noch den Faden erkannt. Zwischen Blechtöpfen, Kerzenhaltern, Kokosnussraspeln und unendlich viel anderem Kleinkram steht ein handgroßer, brauner Klumpen, in dem Spieße stecken, wie man sie etwas länger für Brochettes nutzen könnte. Aber nein, das sind Nähnadeln. Dazu gibt es von einer kleinen Rolle einen schwarzen, dicken Plastikfaden. Plastikfaden und Nähspieß, ob das was wird? Ich sehe mich schon in Flip-Flops durch Marojejy schleichen…

Wir schlendern über die staubige Straße zurück Richtung Hotel, als uns kurz vor der Brücke eine Frau mit sorgfältig geflochtenen Haaren entgegen kommt, die einen großen, breiten, grünen Eimer trägt. Darin erspähe ich Mangostan, weshalb ich ihr gleich winke und zu erklären versuche, dass ich gerne davon einige kaufen würde. Die „paar“ von gestern sind schließlich längst leer. Leider kann die gute Frau nur sehr schlecht rechnen. Was eine Mangostan kostet, weiß sie schon, aber bei zwei klappt es schon nicht mehr und zehn sind quasi unmöglich. Und ich will 24 haben! Dimby versucht zu helfen, so weit es geht. Wir zählen ihr gemeinsam alle Mangostan vor, malen Striche auf Hände und legen Geldscheine dazu. Ich glaube inzwischen, dass die Frau entweder einen brutalen Dialekt spricht oder einfach Analphabet ist. Denn auch Dimby hat beim Verstehen seine Probleme. Immer wieder schaut sie uns mit großen Augen fragend an. Am Ende kosten die 24 Mangostan gerade mal 3000 Ariary, also nicht viel mehr als einen Euro. Und da haben wir schon den Preis selbst erhöht, weil sie selbst sich verrechnet hätte. Gerd ist auch auf den Geschmack gekommen, er und Dimby teilen sich die übrigen Mangostan aus dem Eimer. Damit hat die Frau in zwanzig Minuten ihren Tagesumsatz gemacht. Wir versuchen ihr mit Händen und Füßen zu erklären, dass wir gerne morgen mehr Mangostan abnehmen, falls sie morgens am Coco Beach vorbeikäme. Ob das geklappt hat, werden wir morgen dann sehen.

Der kulinarische Streifzug durch Maroantsetra führt Richtung Coco Beach zurück. Kurz vor der Brücke biegen wir links ab, an einer neuen Bar vorbei geht es zu einem kleinen, aber enorm gut sortierten Supermarkt. Er versteckt sich in einem blau angemalten Gebäude, und ein kleiner Wachmann steht davor. Es gibt hier sogar Litschihonig. Wir kaufen vor allem Rum ein, für die Abende auf Nosy Mangabe. Anschließend schlendern wir zurück über die kleine Brücke und auf der anderen Seite den kleinen Sandhügel hinunter. Rechts stehen kleine Buden aus Stöcken und Bananenblättern, hinter denen einige Frauen fröhlich winken. Was sie auf den dunklen, schmutzigen Brettern verkaufen, kann ich nicht so richtig erkennen: Es sind kleine, bräunliche und weiße Häufchen aus irgendwelchen Fasern. Tanala fragt, ob es Bonbon Coco sei? Ja, nicken die Damen im Stand eifrig. Ob ich eins probieren will? Also probiere ich, für 100 Ariary einfach aus Neugierde. Das Bonbon scheint eine Mischung aus karamellisiertem Zucker und Kokosraspeln zu sein, es schmeckt prima. Ich kaufe noch zwei und drei kleine, gelbe Mangos, dann ist mein Geld in der Hosentasche alle.

Zurück im Hotel genieße ich mein Obst – es schmeckt unglaublich viel besser als zu Hause. Die Mangos sind saftig und haben keinerlei Fasern, der Kern löst sich einfach so heraus. Und natürlich schrumpfen die Mangostanberge schneller als man zuschauen kann. Dimby belehrt mich im Coco Beach auch bezüglich des Schuhs und meiner Sorgen schnell eines Besseren. Er näht den Schuh mit unglaublicher Fingerfertigkeit und der Riesennadel wieder zusammen. So ordentlich, dass es wie mit der Maschine genäht aussieht. Er zeigt mir auch, weshalb er ausgerechnet Plastikfaden gekauft hat: Den kann man, wenn man fertig ist, einfach mit dem Feuerzeug anschmelzen und so befestigen. Genial. Ich finde, dass der Schuh fast besser aussieht als vorher. Der Regenwald kann kommen!

Genähter Schuh
Der von Dimby meisterhaft genähte Meindl-Schuh

Am Nachmittag spazieren Tanala, Martin, Stephan, Anja und ich nochmal Richtung Strand. Rechts aus dem Hotel heraus geht es einen sandigen Weg entlang, der an ein paar Häusern vorbeiführt und zu der Schule leitet, an der letztes Jahr dank einer Menge Luftballons ein Zaun umfiel. Der steht zum Glück wieder, Glück gehabt. Kinder sind gerade keine da. Dafür treibt ein Junge in rotem Pulli und weißen Shorts ein halbwüchsiges Schwein an einer Leine den Weg herunter. Plötzlich reißt sich das Schweinchen los, und rennt wie von der Tarantel gestochen davon. Tanala versucht noch, sich ihm in den Weg zu werfen, aber das Schwein ist schneller. Es rettet sich in ein Gebüsch, aus dem mit lautem Gackern ein Huhn und etliche Küken heraus flüchten.

Ich schlage den Sandpfad zum Strand ein. Sonst sind nur ein paar Frauen unterwegs, die Schüsseln und Körbe auf dem Kopf nach Hause tragen. Das Meer ist rau und aufgewühlt, die Wellen sind hoch, der Himmel ist dunkel. Drei kleine, nackte Jungs spielen mit einem Baumstamm, lassen sich damit ans Ufer treiben und schieben ihn wieder einige Meter ins Meer hinaus. Eigentlich suchen wir nach Fröschen, werden aber erst fündig, als es anfängt zu tröpfeln. Immerhin sind wir heute alle etwas schlauer und haben unsere kleinen China-Regenschirme dabei. Dass es in den letzten Tagen reichlich geregnet hat, sieht man übrigens hier in der Nähe des Meeres besonders gut. Überall stehen Hütten knietief im Wasser, der kleine Bach nebenan ist zu einem Fluss angeschwollen und hat Reisfelder und Vorgärten überflutet. Wie letztes Jahr sehen wir einen LKW, der Benzinfässer transportiert. Immerhin haben die dieses Jahr alle einen Deckel, und es gibt hinten sogar eine Heckklappe anstatt jemandem, der die Fässer festhalten muss.

Auf dem Rückweg zum Hotel spricht ein junger Mann Tanala an, er fragt ob er Englisch spricht. Ob er wohl ein paar Meter mitlaufen kann, um sein Englisch zu üben? Aber natürlich! Die Menschen sind hier so unendlich viel netter als im Süden Madagaskars. Von einem Dach winken zwei Männer herunter, die gerade vermutlich die Farbe erneuern. Gegenüber des Coco Beach wickelt gerade eine Frau Samboza, kleine Teigtaschen mit Gemüse- und Fleischfüllung. Sie sagt, in 30 Minuten könnten wir wiederkommen, dann wären die Samboza fertig zum Frittieren. Ein guter Plan, wir melden uns schonmal an. Nicht, dass wir heute schon genug geschlemmt hätten in Maroantsetra…Pünktlich auf die Minute sind die Samboza fertig und bereits für uns ganz frisch in ein umgeschlagenes Zeitungspapier eingetütet. Ein Hoch auf Maroantsetras Küche!

Veröffentlicht von Alex

Alex ist 35 Jahre alt, wohnt in der Nähe von Mainz und ist im echten Leben fernab des Urlaubs Tierarzt mit Faible für Reptilien. Sie fotografiert und reist gerne - so entstand auch dieser Blog. Nebenbei hält sie selbst Chamäleons zu Hause, schreibt an wissenschaftlichen Veröffentlichungen, betreibt ein kostenloses OnlineMagazin und erstellt Malbücher für madagassische Kinder.

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