Der Tag beginnt am frühen Morgen im kleinen, kommunal geführtem Park von V.O.I.M.M.A. mit Julienne, einem kleinen alten Mann. Eigentlich sollten Markus, Chrissi, Ines, Katja und ich heute mit Edwin unterwegs sein. Aber wir wollten in den kleinen Community Park und Julienne auch, er war dort nämlich gestern schon zwecks Tiersichtung fleißig unterwegs.
Schon direkt am Eingang krabbelt ein junges Calumma brevicorne umher. Die ersten Kameras klicken. Markus verspricht THB für einen Phelsuma pusilla hallmanni. Wir laufen den schmalen Weg zwischen den Urwaldriesen entlang, es ist angenehm warm und die Sonne kommt langsam raus. Schon nach wenigen Metern stoppt Julienne und zeigt uns zwei kleine Frösche, Scaphiophryne marmorata. Während ich mich abmühe, ein gescheites Foto von einem der Winzlinge zu bekommen, findet Markus den gesuchten Taggecko selbst an einem Baumstamm, allerdings in ein paar Metern Höhe. Ich sehe nichts außer einem sehr kleinen, sehr dunklem Gecko auf Holz. Aber gut, dass Markus sich sein THB dann wohl selbst ausgeben muss.
Julienne führt uns ein paar Treppen nach oben bis auf einen grasigen Weg. Hier gibt es häufig Giraffenhalskäfer, und ich deute gerade auf die bevorzugt zum Bau der Eirollen gelegten Blätter eines bestimmten Baums, als ich auch schon ein Weibchen entdecke. Das läuft ja heute! Das Tierchen ist zwar normal groß, aber die roten Flügel sind sehr dunkel gefärbt, fast schwarz. Als das Weibchen wie ein kleiner, brummender Helikopter davon fliegt, laufen wir weiter.
Unser kleiner Guide bringt uns irgendwo weit nach oben, und zwischen schmalen, hohen Bäumen laufen wir irgendwo querfeldein auf der Suche nach braunen Makis. Wir finden sie denn auch, zusammen mit einer Gruppe Chinesen, die das mit dem Fütterverbot offenbar nicht verstanden haben. Kurz darauf kotzt ihnen einer der Makis eine Banane wieder vor die Füße. War vielleicht doch zuviel Sonnencreme dran. Mir tut der kleine Kerl eher leid, wie er da würgend im Baum sitzt. Die anderen Makis laufen auf dem Boden umher, suchen nach heruntergefallenen Guaven und lassen sich von uns nur wenig stören. Als wir dem weichen, von Laub und Moos bedecktem Weg wieder nach unten folgen, entdecke ich einen einsamen Maki, der mit zwei gestohlenen Bananen unter einem riesigen Pandanus sitzt. Er hat sich sein Versteck wohl gut ausgesucht, denn er guckt völlig erschrocken, als er bemerkt, dass jemand vor ihm steht.
Julienne hat es heute wirklich eilig. Er zeigt uns Unmengen Tiere, lässt uns fotografieren, um dann schon direkt zum nächsten Fund zu eilen. Eigentlich bewegen wir uns heute nur von Tier zu Tier. Er führt uns durch einen matschigen, schlammigen Weg, zu beiden Seiten sind lehmartige Wände aufgetürmt. In diesem Winkel des eher kleinen Parks war ich auch noch nicht. Ein paar Meter über unseren Köpfen entdeckt Julienne einen Paradiesschnäpper, der zwischen bemoosten Ästen hin- und herhüpft. Plötzlich hören wir laute Warnrufe, das Gebrüll der Indris. Es ist kurz still, dann singen sie. Es ist laut, aber relativ weit weg. Julienne meint, wir suchen später nach den Indris – na gut.
Er hat noch etwas anderes neben einem riesigen Farn gefunden. Eng um zwei sich kreuzende Äste geschlungen, ruht eine kleine Boa im Gebüsch. Es ist ein relativ junges Tier, und schwer zu fotografieren. Sie windet sich um die Äste, dreht den Kopf immer schön dahinter und hat irgendwie so gar keine Lust auf Fotos. Derweil begegnen uns die Japaner wieder. Ein junger Mann mit nackten Armen und weißem Zopf auf schwarzen, halblangen Haare und seine Freundin – das war die, die vorhin den armen Maki zum Kotzen gebracht hat. Die Schlange interessiert sie nicht sonderlich, nur mit dem Smartphone ein Schnappschuss und schon sind sie wieder weg. Wie praktisch.
Wir verbringen einen sehr schönen, lustigen Vormittag im Park. Die Gruppe ist super, es gibt viel zu Lachen und genauso viel zu sehen. Julienne spurtet hierhin und dorthin, entdeckt hier noch einen Paradiesschnäpper mehr, zwischen herunter hängenden Lianen auf vier Meter Höhe noch ein Parsons Chamäleon, da noch einen Madagaskardajal (bekannter als magpie robin), und schließlich zurück auf dem Hauptweg noch ein winziges, knallorange gefärbtes Baby von Calumma parsonii cristifer.
Schließlich sind wir wieder auf dem Grasweg, auf dem wir morgens den Giraffenhalskäfer entdeckt hatten. Von oben durch die Bäume hindurch zeigt Julienne uns eine kleine Gruppe Indris, sich sich allerdings gut verstecken. Die beeindruckenden Lemuren fressen gerade Blätter von einem Baum. Vorsichtig bewegen wir uns den Hang nach unten, quer durch Gebüsch und Unterholz. Einer der Indris sitzt bequem in einer riesigen Astgabel, und beobachtet neugierig die Zweibeiner unter sich. Als wir fast direkt unter den Indris stehen, geht es los: Ohrenbetäubend singen die Indris los. Ohrenbetäubend, aber irgendwie auch ein bisschen magisch und schön. Genau dafür kommt man nach Andasibe.
Verschwitzt und dreckig, aber sehr glücklich und bestens gelaunt, mache ich mich mit der Gruppe auf den Rückweg zum Parkeingang. Direkt am Weg hat Julienne aber noch das I-Tüpfelchen für den heutigen, perfekten Tag gefunden: Nur wenige Meter entfernt vom Weg sitzen Wollmakis dicht zusammen gekuschelt an einem schlanken Baumstamm. Eigentlich sind diese Lemuren nachtaktiv und man sieht sie nur selten, höchstens mal als Fellball ganz weit oben in den Bäumen schlafend. Aus irgendeinem Grund hat sich dieses Fellknäuel aus drei Wollmakis heute aber dazu entschlossen, tagsüber für einen kurzen Moment wach zu sein. Mit ihren riesigen Augen schauen sie in die Kameras. Leise, um die scheuen Lemuren auf keinen Fall zu vergraulen, mache ich ein paar Aufnahmen. Wow!
Bevor wir den Park verlassen, gibt es noch ein kleines Fotoshooting mit einem Pärchen Calumma parsonii cristifer. Das Weibchen hat eine etwas beschädigte Nase, wahrscheinlich von einer alten Maulfäule, wodurch ihr Unterkiefer vorzustehen scheint. Beide lassen sich völlig entspannt fotografieren. Je größer das Chamäleon, desto ruhiger ist es offenbar. Manchmal.
Erst spät kehren wir mit Christian und Rapha im Bus zurück ins Feon’ny Ala. Wir sind die letzte Gruppe, die aus dem Wald kommt. Für’s Essen kommen wir zu spät, aber Getränke gibt es noch reichlich. Ich erfahre nebenbei, dass der Vakona Lodge, dem kleinen Zoo mit Hotel am anderen Ende Andasibes, übrigens während des letzten Zyklons alle Nilkrokodile entflohen sind. Elf von 14 sind noch auf Trebe und konnten nicht wieder gefunden werden. Sie schwimmen jetzt irgendwo in Andasibe herum. Bei den meterlangen Reptilien überlege ich allerdings, ob auch jemand ernsthaft gesucht hat…?
Den übrigen Nachmittag verbringe ich auf der Terrasse. Unten an dem kleinen Bach, der in den See vor der Terrasse mündet, bewegen sich die Bäume. Allerdings nicht von alleine. Eine ganze Bande brauner Makis taucht auf. Es sind alles Männchen. Die beiden ersten bleiben lange auf einem großen Ast sitzen, der quer über den Bach hängt und fast bis auf den Rasen des Hotelgeländes reicht. Es dauert nicht lange, da sind die zwei rüber gesprungen. Nach und nach folgt ihnen der ganze Junggesellentrupp. Im hohen Gras laufen sie in Richtung der Bäume. Von Weitem sieht man nur die Schwänze aus dem Gras lugen. Neugierig klettern sie zu den ersten Bungalows nach oben, und beobachten aus sicherer Entfernung die Perlhühner des Hotels, die unten auf dem Rasen herumglucken.
Zum Abendessen geselle ich mich mit der ganzen Gruppe auf der anderen Straße in Maries neues Restaurant. Das Essen ist super, und danach brechen wir nochmal in den Wald auf. Die Gruppen bleiben, wie sie sind, ich bin mehr als zufrieden damit. Eigentlich sollten wir „spätestens um Sieben“ am gleichen Community Park sein, den meine Gruppe schon morgens besucht hat. Wir trudeln mit dem Bus erst gegen halb Acht ein. Macht in Madagaskar aber nichts, eine gewisse Verspätung ist normal.
Wieder begrüßt Julienne uns. Wir warten ein wenig, bis die anderen beiden Gruppen im Wald verschwunden sind. Julienne hat seinen Sohn Coco mitgebracht, der auch Guide werden will. Er übt sozusagen schon mal. Im Stockfinsteren folgen wir dem Kiesweg durch den Wald. Frösche quaken, Grillen zirpen und ab und zu hört man ein leises Pflumpfs, wenn ein Frosch in den nahen, kleinen Fluss springt. Schon nach wenigen Minuten entdeckt Coco einen Mausmaki. Ich quetsche mich zwischen Ästen und Bäumchen hindurch, um einen Blick zu erhaschen. Leider habe ich mal wieder das falsche Objektiv drauf, ergo kein Foto. Ich hätte es mir vielleicht nochmal überlegen sollen, denn der Mausmaki bleibt seelenruhig mehrere Minuten sitzen, bevor er wieder in die Dunkelheit entschwindet.
Mit der Stirnlampe leuchte ich meinen Weg. Ein Boophis madagascriensis nach dem anderen entdeckt Julienne, gleich drei an der Zahl. Auch ein leuchtender Boophis viridis sitzt auf einem Blatt. Langsam stapfen wir durch den Wald. Im Gegensatz zu heute morgen ist nachts im Dunkeln nichts mit zügigem Herumrennen. Coco findet ein kleines Brookesia, das vor einer Lehmwand auf einem Ast tief über dem Boden sitzt. „Bestimmt nur ein superciliaris!“, sage ich noch und gehe weiter. Als Markus später mit Fotos des Erdchamäleons ankommt, stellt sich heraus, dass es ein Brookesia thieli gewesen wäre. Man sollte auf Madagaskar einfach nie an Tieren vorbeigehen, die man schon zu kennen glaubt…
Das angekündigte Brookesia superciliaris bekommen wir übrigens auch noch zu sehen. Blaue Kaffebohnen sind allerdings nicht in seiner Nähe. Coco findet noch mehr Mausmakis und auch ein junges Calumma parsonii cristifer schlafend auf einem Ast – ihn mitzunehmen hat sich auf jeden Fall gelohnt.
Wir steigen Treppen, provisorisch aus Ästen und Kies gebaut, nach oben. Endlose Treppen. Noch eine Stufe, und noch eine, und noch eine. Tagsüber kam mir das nicht so viel vor. Auf einer der Stufen sitzt ein kleiner Frosch, ein Gephyromantis, und schafft eine kleine (natürlich völlig ungewollte) Verschnaufpause. Ich schwitze schon wieder. Ein Ast wischt mir durch’s Gesicht, als ich zuviel auf den Boden gucke und nicht vor mich. Irgendwo führt Julienne uns einfach quer zwischen den Bäumen durch zu einer winzigen Lichtung. Coco hat einen Blattschwanzgecko gefunden, für Fotos bedarf es allerdings einiger Verrenkung rund um den Ast, auf dem er sitzt. Ein paar Meter weiter sitzt noch ein Skorpion an einem Baumstamm. Ich wusste nicht mal, dass die Viehcher Bäume hoch krabbeln.
Zurück auf der Treppe geht es weiter nach oben. Haben wir uns irgendwie falsch angemeldet und sind in der Bergsteigertruppe gelandet? Gefühlt eine Ewigkeit führt der Weg nach oben. Dann reicht er ein wenig schräg über einen matschigen Hügel und führt geradeaus. Wir entdecken noch den ein oder anderen Frosch, und stehen plötzlich auf dem Querweg, von dem wir heute morgen die Indris beobachtet haben. Über uns spannt sich ein beeindruckender Sternenhimmel.
Irgendwo tapern wir die vielen Stufen wieder nach unten, und kommen müde wieder auf dem Parkplatz vor dem Regenwald an. Zurück im Hotel falle ich todmüde ins Bett.