Auch heute morgen sitzt eine Gruppe Lemuren vor unserem Bungalow. Diesmal ist es die Gruppe mit dem Babylemur, dem Kronenmaki-Weibchen und dem Mohrenmaki-Männchen. Wie schon gestern lassen sie sich nicht lange bitten, wenn es Rambutan und Bananen gibt. Der Mohrenmaki bleibt aber wieder im Hintergrund. Eigentlich verpaart er sich mit dem falschen Weibchen, aber seine Mohrenmaki-Dame gefällt ihm wohl nicht. Und nebenbei, die vergnügt sich auch lieber mit dem Kronenmaki-Männchen. Eine Rambutan nach der anderen wechselt den Besitzer. Denen müsste längst schon mal schlecht sein.
Bevor es nochmal in den Regenwald geht, freue ich mich auf das tolle Frühstück. Natürlich gibt es auch heute wieder Maracujas, Bananen, Melonen, Ananas und vieles mehr. Ich denke, ich habe diesen Urlaub schon mehr Obst gegessen als in drei Monaten zu Hause. Diesmal hoffen wir, die Coquerel-Sifakas zu sehen, die gestern nicht in der Nähe waren. Und wir haben Glück: Auf Oliviers Rufe kommen sechs Sifakas durch die Baumwipfel angesprungen. Es sind wunderschöne, relativ kleine Lemuren mit einem bärchenhaften, braun-weißen Fell. Zwei der sechs Tiere sind Jungtiere vom letzten Herbst und wirklich niedliche kleine Knuffels. Sie lassen sich sogar ganz vorsichtig berühren und tasten mit den kleinen Fingern nach meiner Hand. Mit den Sifakas sind noch drei kleinere Lemuren zu uns gekommen, darunter das Mohrenmaki-Weibchen – und ehrlich gesagt, ich verstehe das artzugehörige Männchen – die ist wirklich nicht hübsch.
Nach der Begegnung mit den „kleinen Teddybären“ – die ihrem Aussehen übrigens nicht gerecht werden, sie sind gegenüber anderen Arten ziemlich aggressiv – laufen ich mit der gleichen Gruppe wie gestern noch einmal in das Revier der Indris. Ich hoffe sehr, diese wunderschönen Tiere noch einmal sehen zu dürfen. Und wir haben ein zweites Mal Glück: Wieder sehen wir das Weibchen mit den drei Halbwüchsigen und sie kommen auch erneut richtig nah heran. Ich bin selig. Hier ist das Paradies. Als drittes Ziel unserer kleinen Wanderung schauen wir heute unten am Seeufer nach Fröschen. Praktischerweise fällt ein leichter Nieselregen, als wir den hellen Sandstrand erreichen, das perfekte Wetter für Amphibien. Ein paar der kleinen Gesellen finden wir, dann wird der Regen stärker und uns zieht es zurück zu den Bungalows. Die Rambutan in meinem Korb sind noch lange nicht alle, aber morgen werden wir das Palmarium schon hinter uns lassen. Daher sammele ich die übrigen Rambutan ein und verteile sie draußen an Varis. Frank ist erst heute nachgekommen und dankbarer Abnehmer für das ein oder andere Lockmittel. Bruno, der eigentlich gar nicht so heißt und den Spitznamen durch seine Ähnlichkeit mit Bruno Mars hat, zeigt mir ein Furcifer oustaleti-Baby, das in einem kleinen Busch sitzt. Außerdem hat er ein Calumma parsonii parsonii (orange eye) gefunden, das irgendwo inmitten des Schildkrötengeheges auf einem Baum sitzt. Ich gehe mit Thorsten hin, um danach zu schauen. Und wir finden ein wirklich prächtiges Männchen. Es hat nicht nur beeindrucken schöne Farben, sondern auch tolle Nasenfortsätze ohne jeden Makel. Nicht den kleinsten Kratzer hat der große Kerl.
Am späten Nachmittag wollen wir nochmal los und Aye-Ayes suchen, diesmal mit dem Rest der Gruppe zusammen. Mit immerhin neun Leuten brechen wir vor Sonnenuntergang mit dem Boot auf. Diesmal klemmen wir die Kokosnüsse in ein paar Astgabeln – in der Hoffnung, dass die Tiere daran vielleicht etwas länger arbeiten und wir sie dadurch leichter beobachten können. Ich befürchte insgeheim, dass wir mit sovielen Leuten gar kein Tier zu Gesicht bekommen werden. Wenig später sitzen wir an der gleichen Stelle wie gestern auf dem Sandboden, diesmal nur mit mehr Leuten. Es sind immernoch unglaublich viele Mücken unterwegs und wieder passiert erst einmal eine halbe Stunde nach Sonnenuntergang gar nichts.
Ein paar Minuten später, die Männer von gestern sind bei den anderen, knipse ich mal probeweise die Taschenlampe an. Tatsächlich ist schon ein Aye-Aye in der Nähe, aber es sitzt noch ganz am Rand der Lichtung und traut sich nicht an die befestigte Kokosnuss. Bestimmt zwanzig Minuten sitzen wir im Finsteren und knipsen ab und zu das Licht an, doch das Tier nähert sich kaum und zögert beim geringsten Geräusch. Dann kommt Tanala vom Sitzplatz der anderen Gruppe herüber. Bei ihnen sind gleich drei Tiere, und die lassen sich zu aller Erstaunen von gar nichts stören. So leise wie möglichen machen wir uns auf zum Rest der Gruppe. Was wir vorfinden, ist unglaublich: Ein großes Männchen knabbert ungestört an der in der Astgabel befestigten Kokosnuss. Selbst Fotos aus nächster Nähe interessieren ihn nicht die Bohne. Am Rande der kleinen Lichtung sind noch zwei weitere Tiere unterwegs, die neugierig herumspringen, kopfüber an den Bäumen herunterklettern und ebenfalls etwas von den Nüssen abzubekommen versuchen.
Unbemerkt von den anderen sehe ich die Männer von gestern in einer Ecke der Lichtung mit der Taschenlampe nach oben leuchten. Ich schleiche mich zu ihnen und sie deuten auf ein wunderhübsches (also, für Aye-Ayes) ausgewachsenes Weibchen, das sehr neugierig ist und nur einen Meter über ihren Köpfen thront. Mit einem Stück Banane versucht einer der Männer, das Tier anzulocken, und es scheint seeehr interessiert. Da anscheinend niemand außer mir das Mädchen fotografieren will (oder bemerkt hat), habe ich quasi freie Hand und niemand steht im Bild oder blitzt hinein. Nach ein paar Versuchen, näher zu kommen, ist das Aye-Aye-Weibchen schließlich so mutig, sich ein klitzekleines Stück Banane von der menschlichen Hand zu klauen, aber dann verschwindet es auch sofort wieder in eine Palme. Dann werde ich plötzlich von lautem Geschrei hinter mir aufgeschreckt – das größere Männchen hat einem kleineren in den Rücken gebissen, das sich ebenfalls an der Kokosnuss bedienen wollte. Unter lautem Gewimmer verzieht sich das unterlegene Männchen in die benachbarten Bäume – und schnieft und fiept noch einige Minuten weiter, bevor es sein Glück lieber an anderer Stelle noch einmal versucht. Die Schreie waren wirklich gruselig.
Auch dieser Abend geht viel zu schnell zu Ende, wir bleiben etwas kürzer als gestern. Jeder hat reichlich Fotos machen können, und wieder waren die Aye-Ayes einfach unglaublich nahe. Alle sind zutiefst beeindruckt von diesen faszinierenden Waldgeistern und dieser einzigartigen Begegnung. Nach und nach finden sich alle am Boot ein, und mit gedämpften Stimmen halten wir eine kleine Kabary mit den Männern, die das Gelände bewachen und nach den Aye-Ayes schauen. Sie bekommen selbstverständlich auch ein Trinkgeld, denn es soll sich im Endeffekt für sie lohnen, die Tiere zu schützen anstatt sie zu töten. Nach und nach steigen dann alle ins Boot. Wieder fahren wir bei sternenklarem Himmel zurück zum Palmarium.
Es ist der letzte Abend in Akanin’ny Nofy, und es ist Tradition, dass an diesem Abend eine kleine Folkloregruppe aus dem benachbarten Fischerdorf für die Gäste tanzt und singt. Das Tanzen und Singen übernehmen Frauen und Kinder, während einige der Männer mit Trommeln für den Takt sorgen. Und sie singen zwar nicht sehr melodisch, aber laut und mitreißend. Zwischen den Liedern versucht Sylvain, die madagassischen Texte ins Englische zu übersetzen und zu erklären, worum es in den Liedern geht. Schon bei der dritten Gesangseinlage verteilen die Tänzerinnen und Kinder ihre Schals an uns, und wir werden aufgefordert mitzutanzen. Nach wenigen Minuten tanzt eine bunte Mischung aus Gästen, Hotelangestellten und Dorfbewohnern vor der Bar.
Kaum sitzen wir wieder auf den kleinen Sofas, kommen die auf dem Boden stehenden Requisiten zum Einsatz: Die Tänzerinnen setzen sich eine Rumflasche mit einem Palmwedel darin auf den Kopf – und tanzen einfach weiter, drehen sich um die eigene Achse und wiegen die Hüften. Natürlich fällt die Flasche nicht runter. Körperbeherrschung pur. Klar ist auch schnell: Das muss jeder auch mal probieren. Und so wandert die Flasche nach und nach über die Köpfe, jeder tritt nach vorne und versucht sich mehr oder weniger geschickt beim „Flaschentanz“. Obwohl alle Vazaha von Sylvain sogar noch ein Tuch unter die Flasche gelegt bekommen, damit sie etwas stabiler sitzt, kann kaum jemand den Kopf so ruhig halten, während der Rest des Körpers sich rhythmisch bewegt. Ich habe da auch so meine Probleme. Vielleicht übe ich mal für nächstes Jahr!
Zum Schluss üben wir mit Sylvain noch Klatschen – er sagt eine Zahl auf Madagassisch an, und im besten Fall klatschen alle exakt so oft wie angesagt. Zum Glück sind die Madagassen in der Überzahl, und man hört falsche Klatscher nicht wirklich heraus. Zum Abschluss der Darbietung wird noch einmal gemeinsam getanzt. Unter lautem Singen tanzen wir in einer Art Polonaise um die Hütte, in die Bar und wieder hinaus. Immer wieder stellen sich dabei Tänzer gegenüber, bilden mit den Händen ein Dach und die Nachfolgenden laufen darunter durch. Bei den Kindern ist das jede Runde eher Limbo. Es ist einfach schön und zudem noch sehr lustig. Schließlich verabschiedet sich die Gruppe, und mit kleinen Trinkgeldern für die tolle Vorstellung und vielem Winken verlassen sie singend die Hütte.
Später kommen wir dann doch noch zum Abendessen, das bisher trotz des fortgeschrittenen Abends einfach noch niemand vermisst hat. Für mich gibt es Thunsteak mit Knoblauch-Kartoffeln und einen Crepe mit Obstsauce. So könnte ich öfter dinieren. Der Tag war einfach nur toll. Ich hoffe, nach dem Abendessen noch Sterne fotografieren zu können, aber nach dem schönen Tag macht mir die Natur doch noch einen Strich durch die Rechnung: Der Himmel ist bedeckt und kein einziger Stern mehr zu sehen. Naja, angesichts der Erlebnisse des Tages nicht weiter schlimm. Auf dem Weg zum Bungalow rette ich noch eine Mantide aus einem Spinnennetz. Ich bin soo müde, ich könnte im Stehen einschlafen.