Norden 2013

Mein erster Tag auf Madagaskar

Flug über Madagaskar
Der erste Eindruck von Madagaskar

Der Flug war ätzend. Ich hatte zum Glück zwar zwei Plätze statt einem und saß sogar am Fenster, aber leider auch direkt über den Turbinen. Während knapp elf Stunden Flug mit Air Austral gab es nicht wirklich Schlaf. Nie wieder sooo ein ätzender Langstreckenflug! Bei der Landung auf Réunion wurde mir richtig schlecht. Der erste Schritt nach draußen… ich laufe wie gegen eine warme, feuchte Wand. Zum Glück gibt’s eine (langweilige) Stunde Aufenthalt in dem kleinen Flughafen unter einem Holzdach, wo kleine tropische Vögel ein-und ausfliegen. Somit ist mir zumindest beim Flug nach Antananarivo, kurz Tana, nicht mehr ganz so schlecht. Auf La Réunion bekomme ich bei der Ankunft ein kleines, dreiseitiges Blättchen in die Hand gedrückt. Soll ich ausfüllen, damit bekommt man sein Visum. Neben üblichen Angaben wie Name, Beruf, Aufenthaltsdauer und Co wollen die Madagassen auch wissen, ob man Gelbfieber-geimpft ist oder irgendwo anders im Ausland war. Und die Namen der Eltern sind natürlich enorm wichtig!

Ankunft in Tana. Die kleinere Maschine landet etwas ruppig, aber sicher. Die Tür geht auf und alle laufen direkt auf das Rollfeld. Das ist also Madagaskar. Das Flughafengebäude hat dreieckige Dächer und wirkt ziemlich klein. Naja, klein halt im Vergleich zu Frankfurt. Ich laufe einfach den anderen Leuten hinterher, an dem Gebäude entlang und schließlich zur Tür départs international ins das Gebäude rein. Dann stehen wir erstmal alle herum. Es gibt einen „visa“ und einen „non-visa“-Ausgang. Als erstes sticht einem aber eigentlich erstmal die riesige Orange-Tel-Werbung ins Auge. Ich stelle mich bei der langen non-visa-Schlange an. Und es dauert und dauert… Mora mora! Zumindest lerne ich beim Anstehen gleich einen Teil meiner Gruppe kennen: Heidi und Armin aus Stuttgart, Gerd und Elke, Martin aus dem Ruhrpott und Stefan und Anja. Auf Madagaskar war noch keiner von ihnen und entsprechend sind wir alle gleichermaßen hilflos.

Einreise-Papierchen
Das Einreise-Papierchen, was man ausfüllen muss

In einem quadratischen Schalter sitzen fünf Angestellte hinter Glasscheiben. Beim ersten gibt man sein Visumspapierchen samt Flugticket und Reisepass ab. Der erste Angestellte guckt das Ganze interessiert an, gibt alles weiter, der nächste guckt interessiert und gibt alles weiter. Der dritte Angestellte guckt dann mal nicht nur interessiert, sondern setzt freundlicherweise auch einen Stempel in den Reisepass. Okay, dann guckt er doch interessiert. Nach etwa 20 Minuten sind die Dokumente bis ans hintere Ende des Schalters gelangt – etwa 1,50 m vom vorderen Ende entfernt – und man wartet darauf, den richtigen Reisepass mit eingetragenem Visum ausgehändigt zu bekommen. Mit Unterschrift, dafür ist der fünfte Angestellte zuständig. Dabei machen die Angestellten noch irgendwelche Scherze, die ich mangels Malagasy-Sprechen nicht verstehe. Aber ich nicke mal lächelnd… immer lächeln und winken! Endlich habe ich meinen Reisepass wieder. Und begebe mich zum direkt gegenüberliegendem Kofferlaufband. Nach und nach trudeln darauf auch die Gepäckstücke ein.

Dann schleiche ich zum Ausgang, wo Thorsten uns schon begrüßt und vor die Tür zum Rest der Gruppe geleitet. Von dort geht es ans Ende des Parkplatzes zu einem grünen und einem dunkelroten Bus. Thorsten teilt uns auf die Busse auf und eine Unmenge Madagassen verstaut die Rucksäcke auf dem Dach. Wer davon zum Team gehört oder nicht, ist völlig undurchsichtig. Es klärt sich aber recht schnell, denn die Männer aus Tana wollen natürlich alle ein Trinkgeld haben. Leider hab ich tatsächlich genau nichts dabei und schon gar nicht in Ariary. Die Herren werden immer aufdringlicher, bis Thorsten sie etwas unhöflich anfährt, die aufdringlichsten aus dem Bus schmeißt und sich einfach demonstrativ in die Tür stellt. Dazu gibt es noch ein grinsendes „Welcome to Madagascar!“. Als das Gepäck endlich festgezurrt ist, geht die Reise los. Wir fahren zur Résidence de Raphia, einem Hotel nur wenige Kilometer vom Flughafen gelegen. Die ersten Eindrücke von Tana bekomme ich kaum mit, ich bin müde, habe seit 36 h nicht geschlafen und mir ist immernoch so halb schlecht vom Flug.

Schließlich bugsiert sich der Bus ruckwärts in eine enge Toreinfahrt zwischen hohen Mauern. Dahinter liegt das Hotel, wo wir aber heute nicht übernachten werden. Später geht es schon direkt weiter nach Andasibe. Das Hotel ist ein großes hellrotes Steingebäude, einige Stufen führen zur Rezeption hinter dünnen verglasten weißen Holztüren. Links neben dem Gebäude liegt ein Tennisplatz, davor bis zur Mauer erstreckt sich etwas Wiese und Kies mit Tischen und Stühlen. Ich geselle mich zu den schon Sitzenden, bekomme mit meinem soeben erlernten „Azafady, mila labiera iray!“ direkt ein riesiges 0,65 l-THB hingestellt und bestelle ein paar Samboza zu essen. Das Bier tut extrem gut bei warmen 25°C, nach und nach werde ich wieder einigermaßen einsatzfähig.

Später wird auch Geld getauscht. Kurs 2800:1. Ich bin plötzlich im Besitz von Geld in großen und kleinen Bündeln, und ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, wo ich das viele Geld hinstecken soll. Ich bin quasi jetzt Millionär!

Ariary
Zwei kleine Bündel von sehr vielen…

Nach ein, zwei Stunden – das Zeitgefühl ist längst abhanden gekommen – geht es los nach Andasibe. Die Busse fahren uns quer durch Tana. Tana ist riesig und völlig überbevölkert. Und arm. Überall stehen kleine, selbstgezimmerte Holzhütten zwischen bunt bemalten oder einfach dreckigen Steinhäusern. Immer wieder sieht man in THB-Farben bemalte Häuser oder anders als Werbeflächen genutzte Hütten. Dazwischen Holzhütten mit Bananenblatt-Dächern oder Wellblech. Nirgends kann man hineinschauen, denn Türen und Fenster sind in der Regel einfach schwarze Löcher. Überall Kinder, unglaublich viele… über 60% der Madagassen ist unter 15 Jahre alt und man sieht es. Viele laufen barfuß, einige tragen Flip-Flops oder abgenutzte Plastikschlappen. Zwischen den Menschen immer wieder Zebus und Zebu-Karren, hochbeinige Hühner und abgemagerte Hunde springen in Gräben und auf Hügeln neben der Straße herum. Jeder freie Platz ist mit Müll bedeckt. Zwischen den Hütten liegen überall Reisfelder, in deren brauner Brühe neben Menschen auch Zebus und Gänse herumstaken. Der Verkehr ist ein einziges Chaos. Überall zwängt sich der Bus durch, hupen und draufhalten ist die Devise. Die geteerten Straßen gehen immer wieder in rote, unbefestigte Seitenwege über. Da, wo es Strommasten gibt, werden sie auf abenteuerliche Weise von den umliegenden Anwohnern angezapft. Nach einer kleinen Ewigkeit sind wir endlich raus aus Tana, der Stadt der 12 Hügel. Es geht Richtung Andasibe.

Es geht weiter und immer tiefer in Berge und Wald hinein. Ab und zu überholen wir langsam dahinkriechende Lkws, die anscheinend so überladen sind, dass sie kaum noch vorwärts kommen in den steiler und hügeliger werdenden Straßen. Die Straße wird immer kurviger und die Vegetation dichter. Schließlich sind wir mittendrin im Wald. Zu beiden Seiten der Straße breiten sich Bäume und Büsche aus, soweit das Auge reicht. Die hügelige Straße bietet immer wieder atemberaubende Aussichtspunkte. Plötzlich wird es schlagartig dunkel, eine Dämmerung habe ich überhaupt nicht bemerkt. ich versuche die Augen offen zu halten, um jeden Moment Madagaskar zu erleben. Hinten im Bus wird derweil schon geschlafen. Im Dunkeln geht es noch lange weiter. Durch kleine Dörfer und Städte hindurch, wir passieren Moramanga. Die Stadt wirkt unheimlich in der Finsternis, überall Menschen, kleine Feuer vor Holzhütten, Hühner, Zebus und Hunde zwischen Kleinkindern und älteren Männern. „Moramanga“ heißt nicht nur „wo die Mangos billig sind“, sondern auch „wo die Sklaven billig sind“. Ein Relikt aus früheren Zeiten.

Hochland
Kurz hinter Tana

Irgendwann, gefühlt mitten in der Nacht (tatsächlich ist es gerade mal 20 Uhr) erreichen wir Andasibe und das Hotel Feon’ny ala. Der Bus parkt im steinigen Innenhof, im Dunkeln erkenne ich überhaupt nichts. Ich bekomme einen Schlüssel und der Hotelangestellte will mir mein Gepäck abnehmen. Ich lehne höflich ab. Nach 20 Nicht-EU-Norm-Stufen steil nach oben stelle ich fest, dass das eine blöde Idee war. Und lerne später noch, dass der Angestellte sich über ein kleines Trinkgeld sehr gefreut hätte. Mein Bungalow ist Nummer 303 und in der obersten Reihe. Es ist eine schöne, geräumige Holzhütte mit einem Satteldach aus Bananenblättern. Innen finde ich ein großes Bett mit Moskitonetz. Nach einer kurzen Katzenwäsche zieht es mich wieder nach unten. „Einfach den Geräuschen und dem Geruch folgen“ wurde mir gesagt, das mach‘ ich. Die Treppe runter und nach links finde ich eine hübsche Veranda rechts eines Hauses, das wohl das Restaurant ist. Und es gibt fantastisches Essen.

Später falle ich ins Bett und kann lange nicht einschlafen. Die vielen Eindrücke schwirren durch meinen Kopf, ein Kaleidoskop an Farben, Gefühlen und Gerüchen. Letztendlich schlafe ich aber doch ein – es ist mehr Koma als Schlaf.

Veröffentlicht von Alex

Alex ist 35 Jahre alt, wohnt in der Nähe von Mainz und ist im echten Leben fernab des Urlaubs Tierarzt mit Faible für Reptilien. Sie fotografiert und reist gerne - so entstand auch dieser Blog. Nebenbei hält sie selbst Chamäleons zu Hause, schreibt an wissenschaftlichen Veröffentlichungen, betreibt ein kostenloses OnlineMagazin und erstellt Malbücher für madagassische Kinder.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.