Süden 2015

Überraschungsbesuch in Zombitse

Larvensifaka
Larvensifaka

Die Sonne scheint wieder! Heute Morgen erwartet mich ein makellos blauer Himmel draußen. Es ist warm und trocken, und ohne Frühstück geht es mit dem Bus nach Ranohira. In einem kleinen, bunten und vollgestopften Geschäft kaufe ich eine Cola, die zwar erst bezahlt, aber dann noch aus dem Nachbargeschäft organisiert werden muss. Und an einem kleinen, schmutzigen Fenster probiere ich ein Glas mit selbst gemachtem Joghurt. Mein Magen sagt nichts dazu, und der Joghurt schmeckt, also alles gut.

Die Reise geht gen Süden. Wir fahren entlang der Felsformationen von Isalo, die in der Sonne noch viel beeindruckender sind als tags zuvor. Das Gestein leuchtet richtig und schillert in bunten Farben. Bei der „Königin von Isalo“ halten wir an. Es handelt sich dabei um eine Gesteinsformation, die mit etwas Fantasie aussieht wie eine sitzende Frau mit Krone auf dem Kopf.

Isalo

Als die Landschaften von Isalo enden, wird die Fahrt eher öde. Nicht als Zebugras, Zebugras und Zebugras. Richtiges Niemandsland. Nach 30 Kilometer erreichen wir Ilakaka. Die Stadt ist aus einem Saphirrausch heraus gewachsen, und besteht fast ausschließlich aus Saphirläden und unendlich vielen ärmlichen Hütten. Ich finde die Stadt gruselig. Regelrechte Steinpaläste mit Goldglitzertürmchen stehen direkt neben Hütten, deren Bewohner am Hungertuch nagen. Entlang der RN7, die mitten durch Ilakaka führt, liegen alle paar Meter protzige gem shops mit teuren neuen Autos im Hof. Ich mag das nicht. Hier scheffeln einige wenige auf Kosten anderer Geld, und diese anderen betreiben den Saphirabbau unter Lebensgefahr.  Angesichts der kargen Einöde um Ilakaka ist es ja fast schon egal, dass hier in großem Stile Landschaft verwüstet wird – hier gibt es eh sowieso fast nichts mehr. An einem Fluss mitten in der Stadt waschen Frauen und Kinder Goldkrümel aus dem Kies. Selbst Kinder, die gerade so stehen können, sind darunter. Wieviele traurige und auswegslose Geschichten sich wohl hinter den Gesichtern der Stadt verbergen mögen?

Wir lassen Ilakaka hinter uns. Tanala und Dimby haben eine Überraschung geplant: Als kleinen „Bonus“ dafür, dass in Isalo das Wetter so schlecht war (wobei dafür ja niemand etwas kann), werden wir einen Zwischenstopp im Nationalpark Zombitse-Vohibasia machen. Der Nationalpark taucht an der RN7 wie aus dem Nichts auf. Kilometerweit herrschte Einöde, plötzlich stehen zu beiden Seiten der Straße Bäume, ein dichter Trockenwald, der allerdings bereits von Weitem recht schmal aussieht.

Direkt von der RN7 führt ein kleiner Weg bis vor das Park Office, einem weißen Steingebäude mit Wellblechdach. Schon direkt am Office-Gebäude finde ich zig Phelsuma standingi. Alle Größen dieser wunderschönen Taggeckos laufen auf den Wänden herum. Kleinere mit Tigerstreifen und teils beeindruckend große Männchen mit faszinierender knallgrüner und blauer Färbung. Auf dem Sandhaufen neben dem Park Office ist ebenfalls ein lebhaftes Gewusel. Bei näherem Hinschauen erkenne ich Jungtiere von Chalarodon madagascariensis, die im heißen Sand nach winzigen Insekten schnappen. Jocelyn wird heute mit mir und meiner Gruppe von Isalo durch den Wald gehen. Schon bevor wir die RN7 überqueren, sehen wir Hunderte von Schmetterlingen, die den sandigen Pfad auf- und abfliegen. Es ist ein Gewirr bunter Flügel, darunter auch langsam dahinschwebende, riesige blaue und weiße Schmetterlinge mit langen Schwänzen. Die meisten davon sind zum Fotografieren viel zu flink, daher muss der Schmetterlingsweg wohl eine fotofreie schöne Erinnerung bleiben. Direkt an einem Baum an der RN7 schlängelt sich eine riesige, seeehr dicke Langaha madagascariensis durch das Geäst. Sie ist für ihre Art unglaublich groß und dick.

Irgendwann schaffen wir es dann aber doch noch auf den eigentlichen Rundweg. Jocelyn ist sehr motiviert und zeigt uns eine hüfthohe weiße Orchidee und winzige Lygodactylus. Vasas, kleine schwarze Papageien, rufen durch den Wald. Leise schleicht Jocelyn sich an einen hohlen Baumstamm heran, um uns dann flüsternd zu deuten näher zu kommen. Aus dem Stamm heraus schaut ein ganz bezaubernder kleiner Hubbard-Wieselmaki. Es ist das erste Mal, dass ich einen sportive lemur mal in voller Körpergröße sehe. Meist sitzen sie in Astlöchern und nur der Kopf schaut heraus. Dieser hier sitzt jedoch ganz still in seinem Baum und schaut mich mit riesigen Augen an. Danach führt Jocelyn uns in die Nähe einer anderen Gruppe, die irgendwie „dumm im Wald rumsteht“ und nicht vorwärts kommt. Ich entdecke schnell, weshalb sie so lange herumstehen: Eine Gruppe Larvensifakas sitzt in den Bäumen direkt über uns. Was ein tolles Erlebnis! Die Sifakas lassen uns sehr nahe herankommen, sie kennen Besucher und wissen, dass von ihnen nichts Negatives ausgeht. Jocelyn sagt, dass Zombitse sechs Gruppen Larvensifakas hat, wovon zwei oder drei sehr gut beobachtet werden können.

Aber der Rundweg hat noch weitere Naturwunder für uns bereit: Zwei riesige Baobabs, Adansonia za, stehen mitten im Wald. Angeblich sind sie über 500 Jahre alt – ob das stimmt, weiß ich natürlich nicht. Aber beeindruckend groß sind sie! Bei dem vielen Staunen und Fotografieren habe ich die Zeit vergessen, und der Rest der Gruppe auch. Eigentlich wollten wir schon längst wieder zurück am Park Office sein. Jocelyn zeigt uns eine Abkürzung zurück. Dank der sweat flies, die sich sofort auf einen setzen, sobald man langsamer läuft, geht der Rückweg recht zügig vonstatten.

Wir wollen heute noch bis Toliara (französisch Tuléar) fahren, der größten Stadt der Südwestküste. Je weiter der Bus gen Süden kommt, desto unerträglicher wird die Hitze. Die Gegend wird immer trostloser und ärmer. Ein paar kleine Büsche stehen am Wegesrand, sonst sieht man weit und breit gar nichts – und jetzt ist es noch grün wegen des Regens! Ich will gar nicht wissen, wie es hier in drei Monaten aussieht. Zwischendrin hält Christian einmal an, weil eine Schlange über die Straße vor uns kriecht. Leider finden wir sie trotz intensiver Suche nicht mehr wieder. Ein Mahafaly sieht uns neugierig zu, spielt dabei mit seiner Flitsche und erkundigt sich, was wir da im Gras suchen.  Auf dem weiteren Weg sehe ich unheimlich arme Dörfer. Waren es im Hochland noch Backsteinhäuser und in Zombitse noch Lehmhütten, so stehen hier nur noch zeltartige, hüfthohe Schutzvorrichtungen vor der Sonne. Ich kann kaum Fotos davon machen, die Armut erschreckt mich.

Wenige Kilometer vor Toliara begrüßen uns die ersten Palmen. Das Meer ist in der Ferne schon zu sehen. Die Straße führt schnurgerade auf Toliara zu. Toliara selbst ist extrem heiß und staubig. Die Stadt verfügt über enorm viele große Häuser, und auch hier gibt es die im Süden scheinbar allgegenwärtigen gem shops. Antandroy und Bara sind überall zu sehen, enorm große Menschen mit etwas dunklerer Haut als im übrigen Madagaskar. Toliara hat aber auch eine elende Seite: Viele Bettler sind unterwegs, und in der Umgebung können sich viele Menschen in der Trockenzeit kaum ernähren. Es ist das erste Mal auf Madagaskar, dass ich mich in einer Stadt unwohl fühle. Die hohe Armut, die strengen und misstrauischen Blicke der Menschen hier – das ist nicht so meins.

Taxibrousse
Taxibrousse auf der RN7

Wir steigen in einem noblen, großen, weiß-blau bemalten Hotel ab. Tanala und mein Zimmer, die 21, liegt im zweiten Stock. Die Klimaanlage hat zwar keine Fernbedienung, aber immerhin haben die Fenster Moskitonetze, und einen kleinen Balkon gibt es auch. Und einen kleinen Hausgecko, der unablässig schnattert. Ich taufe ihn Friedhelm. Klopapier ist aber Mangelware – wer braucht das auch schon. Unten im Innenhof liegt ein kleiner Pool, wo ich direkt mal hingehe und mich niederlasse. Eine kleine Runde schwimme ich, dann verbringe ich eine halbe Stunde damit, die Spülung des kleinen Gästeklos zu finden.

Zum Abendessen gehen Tanala und ich mit Dimby gegenüber in ein kleines, buntes Restaurant. Ein Teil der Gruppe geht lieber weiter die Straße hoch, um Brochettes zu essen. Da ich aber den ganzen Tag kaum etwas gegessen habe, bin ich froh über eine simple kleine Pizza statt Fisch und Zebu. Auf dem Heimweg ins Hotel schaue ich nach oben und sehe unzählige Sterne am Himmel. In wenigen Sekunden huschen vier Sternschnuppen vorüber. Die fünfte entpuppt sich als Fledermaus.

Veröffentlicht von Alex

Alex ist 35 Jahre alt, wohnt in der Nähe von Mainz und ist im echten Leben fernab des Urlaubs Tierarzt mit Faible für Reptilien. Sie fotografiert und reist gerne - so entstand auch dieser Blog. Nebenbei hält sie selbst Chamäleons zu Hause, schreibt an wissenschaftlichen Veröffentlichungen, betreibt ein kostenloses OnlineMagazin und erstellt Malbücher für madagassische Kinder.

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