Southwest 2017

Sonntags trägt man Axt

Isalogebirge
Isalogebirge

Die Sonne steht schon hoch am Himmel, als wir am Vormittag Ranohira verlassen. An einem kleinen Lädchen mitten in der kleinen Stadt haben wir noch Getränke eingekauft. Allerdings scheint mein Wasser schon offen gewesen zu sein, weshalb ich es erstmal nicht trinke. Andry lenkt den kleinen Bus über die langen, scheinbar ins Endlose reichenden Straßen raus aus dem Isalogebirge. Die bizarren Felsformationen begleiten uns noch eine ganze Weile, und natürlich halten wir unterwegs für ein paar Fotos. Es ist schon unglaublich heiß, die Sonne brennt vom Himmel auf das noch von der Regenzeit grüne Gras der Savanne und kocht jeden, der sich ohne Kopfbedeckung auf die Straße wagt. Als ich gerade an der Königin von Isalo ein Foto mache, kommt ein gelber Lkw vorbeigefahren. Auf der Seite prangt eine mir wohlbekannte Aufschrift „Die Post“. Achja. Deutschland exportiert ganz schön viele LKWs hierher. Auch einem Edeka-Laster bin ich auf der Insel schon begegnet. Umlackieren wird einfach überbewertet. Wegen des Tipps eines anderen Madagaskarreisenden laufe ich ein wenig am Straßenrand herum auf der Suche nach Typhlops. Allerdings finde ich so gut wie keine Steine, die man umdrehen könnte. Was herumliegt, ist entweder Kies oder viel zu groß, um es auch nur anzustupsen.

Die beiden Baobabfrüchte, die Dimby in Morondava gekauft hatte, liegen immer noch im Auto. José öffnet eine, indem er mit der Handkante eine Bruchlinie exakt in der Mitte der Frucht schlägt. Wir teilen, jeder bekommt eine Hälfte. Dann wird während des Fahrens Baobabfrucht gemampft. Das Fruchtfleisch ist gelblich und hat eine Konsistenz, die Moosgummi oder Schaumstoff ähnelt. Im Fruchtfleisch liegen Unmengen dicker Kerne, die ich fleißig ablutsche, um sie später aus Versehen in meinen Hosentaschen nach Hause mitzunehmen. Das Baobab-Fruchtfleisch schmeckt leicht säuerlich, ähnlich dem von Tamarinden.

Baobabfrucht
Baobabfrucht, in zwei Hälftchen gebrochen

Die Landschaft südlich von Isalo wird karger und karger. Endlose Savanne, ab und zu sieht man Zebuherden vorbeiziehen. Ilakaka, die Stadt der Saphire, ist weiter gewachsen. Und irgendwer kam auf die glorreiche Idee, Betonschwellen auf der Route nationale durch die Stadt zu installieren. Das freut in der Hochburg der Kriminalität ungemein, den durchschnittlichen Reisenden eher weniger. Andry stört sich, wie wir schon seit Morondava wissen, eher wenig an Bodenschwellen und rast relativ ungebremst darüber hinweg. Gut, dass ich klein bin und daher nicht jedes Mal mit dem Kopf ans Dach stoße.

Die nächst größere Stadt ist Sakaraha. Man merkt, dass so langsam der Süden und damit eine völlig andere Mentalität übernimmt. Es ist Sonntag, und offenbar geht man sonntags in Sakaraha gerne mit seiner Waffe spazieren. Jede Menge Männer flanieren entlang der staubigen Straße, mit uralten Gewehren, die vermutlich seit Jahren nicht mehr geradeaus schießen. Der ein oder andere trägt einen selbst gebastelten Speer, und wer kein Geld für eine „richtige“ Waffe hat, zeigt wenigstens seine Machete her. Bei manchen tut es auch eine klobige Axt, oder man nimmt gleich Axt und Machete zusammen. Macht wohl mehr her. Selbst junge Männer tragen über ihren feinen Stoffhosen, die sie extra für Sonntage aufbewahren, wenigstens ein kleines Messer. Man grüßt sich höflich, in dem man den Hut antippt und dabei versucht, seine Waffe nicht herunterfallen zu lassen. An der Ostküste oder im zentralen Hochland gibt es solche skurrilen Verhaltenweisen nicht, aber da gibt es auch in der Regel keine dahalos, Diebesbanden. Die klauen seit einigen Jahren nicht mehr nur Vieh, wie es früher der Fall war, sondern gerne auch mal andere Wertgegenstände. Entsprechend tut man im Süden gut daran, eine Waffe sein eigen zu nennen und so wenigstens vorzugeben, dass man wehrhaft wäre. Mich irritiert der Waffenauflauf.

in Zombitse

Kurz hinter Sakaraha steigt meine Irritation ins Unermessliche, als uns ein uraltes Auto entgegenkommt, das gerade so noch nicht auseinander fällt. Der Rost hat große Teile des Peugeot-Oldtimers weggefressen, die Reifen sind fast platt, der Auspuff qualmt schwarz. Aber das ist es nicht, was meine Aufmerksamkeit erregt. Nein, es ist das Dach, oder eher der Aufbau darauf. Auf dem Dach des Peugeots sind alte Holzstühle befestigt, auf denen sechs oder acht Männer sitzen und gröhlend-lachend ihre Gewehre schwenken. In der Mitte des Ganzen thront eine ausgefranste Madagaskarflagge an einem brüchigen Ast. Gruselig, irgendwie, aber auch so skurril, dass ich lachen muss. Ich bin so perplex, dass ich nicht einmal ein Foto mache.

Der Weg zieht sich unendlich. Irgendwo flankieren plötzlich wie aus dem Nichts Bäume, ein ganzer Wald, die Route nationale. Es ist Zombitse, ein Nationalpark. Genauso plötzlich, wie der kleine Wald aufgetaucht ist, verschwindet er nach ein paar Hundert Metern auch wieder. Zurück bleibt nur das karge Gras und dorniges Gebüsch neben der Straße, und hier und da eine einsame Palme oder ein knorriges Bäumchen. Noch ist alles recht grün, in wenigen Wochen wird alles wieder ausgetrocknet und gelb sein.

Nach vielen Stunden Fahrt kommt Toliara so langsam in Sichtweite. Die Hitze brütet auf der Straße, in der Ferne flimmert die Luft und wirft Trugbilder auf den glühend heißen Asphalt. Je näher man Toliara kommt, desto ärmer werden die Hütten, und auch die Menschen, die darin wohnen. Zu meinem völligen Entsetzen entdecken wir Frauen, die nach einem kurzen Regenschutz Wasser aus Pfützen von der Straße schöpfen. Wasser. Aus nicht mal einen Zentimeter hohen Pfützen. Ich verschenke bei einem kurzen Halt flaschenweise Wasser, alles, was ich noch dabei habe. Die Frauen sind enorm dankbar, schämen sich aber offenbar dafür, dass sie nicht die vielen Kilometer zu einer Wasserstelle gelaufen sind. Die Hütten, in denen die Menschen im Süden Madagaskars wohnen, sind genauso karg wie die Landschaft. Sie sind klein und aus grasähnlichem Material gebaut, instabil und wenn es hoch kommt, gerade Mal kopfhoch. Einzelne Unterstände sind kaum hüfthoch und es liegen wirklich Menschen zum Schlafen oder Ausruhen darin. Auch andere Regionen Madagaskars sind arm, das kann man nicht bestreiten. Aber hier hat die Armut Ausmaße, die fast unerträglich sind. Viele Gedanken hängen mir nach, als wir, die „reichen“ Reisenden, in unser schickes Hotel fahren.

Rund 15 Kilometer vor Toliara biegt Andry links auf eine rote Staubpiste ab. Rechts stehen diverse Backstein-Haufen. Im Vorbeifahren entdeckt Dimby Bienenfresser an einem kleinen Hochstand. Nur wenige Minuten durchfahren wir das gelbe Buschwerk, dann stehen wir auf dem Parkplatz des Arboretum Antsokay. Es sieht enorm schick aus. Ein rundes Restaurant mit bodentiefen Fenstern steht hinter einem offenen Restaurantbereich mit Tischen und Stühlen im Sand. Alles ist schick eingedeckt, und öffnet sich zu einer Seite zu einem ebenso schicken Poolbereich mit Dusche und Sonnenliegen. Ein freundlicher Angestellter führt uns rechts am Restaurant vorbei über einen Weg aus Steinplatten bis zu den Bungalows. Tanala und ich haben Nr. 5, das hinterste Bungalow. Und das ist wirklich super schön! Es ist wohl eines der kleineren, aber sauber und einfach schön. Die Bungalows sind oben zwischen Wänden und Dach offen, so dass ein angenehmer Wind geht. Die Brise ist auch dringend nötig, denn hier hat es Hitze. Es hat locker 34°C im Schatten, eher mehr. Gemessen habe ich irgendwann am Vormittag zuletzt.

Nachdem sich alle eingerichtet haben, treffen wir uns wieder im Restaurant zu einem gediegenen Mittagessen. Das Essen ist fein, und ein äußerst geschicktes Geschäftsmodell bezüglich der Getränke gibt es auch: Sie haben hier nur kleine Flaschen. Bei der Hitze trinkt man da schon mal 10-15 am Tag. Nach zwei Stunden haben wir leider alle Wasserflaschen ausgetrunken. Dank der Nähe zu Toliara verspricht uns einer der Angestellten aber, dass die nächste Lieferung noch heute Nachmittag kommt. Bizarr, wenn man daran denkt, dass ein paar hundert Kilometer weiter Menschen aus Pfützen trinken…

Antsokay
Der Poolbereich der Auberge de la Table, die zum Arboretum Antsokay gehört

Der Pool ist super, zwar badewannenwarm, aber trotzdem erfrischend. Der Rest des Tages ist nur für Entspannung vorgesehen. Selbst Wlan gibt es im Hotel. Unser lokaler Guide, Jeanto, stellt sich am Abend noch vor. Er zeigt uns auch gleich eine Fledermaus im angrenzenden Haus, das in das Arboretum selbst führt und einen kleinen Laden beherbergt. Anna hat ebenfalls Fledermäuse im Bungalow. Die Hinterlassenschaften sammeln sich vor ihrem Bett, und es gibt nachts ein reges Ein- und Ausfliegen. Ich beneide sie ein wenig um die Fledermäuse, um die Fledermauskacke weniger.

Zum Abendessen gibt es hervorragenden Ziegenkäse an Tomaten und Pesto, ein Gedicht. Wer hätte ahnen können, dass man im Süden so gut essen und wohnen kann. Als ich zum Pool schaue, entdecke ich zwei Madagaskarfalken auf einem kahlen Baum. Begeistert schieße ich noch ein paar Fotos im Dunkeln. Um acht Uhr verschwinden alle ins Bett. Die Hitze macht müde. Und es ist schon zwei Stunden dunkel.

Madagaskarfalken
Die beiden Madagaskarfalken

Published by Alex

Alex ist 35 Jahre alt, wohnt in der Nähe von Mainz und ist im echten Leben fernab des Urlaubs Tierarzt mit Faible für Reptilien. Sie fotografiert und reist gerne - so entstand auch dieser Blog. Nebenbei hält sie selbst Chamäleons zu Hause, schreibt an wissenschaftlichen Veröffentlichungen, betreibt ein kostenloses OnlineMagazin und erstellt Malbücher für madagassische Kinder.

One thought on “Sonntags trägt man Axt”

Leave a Reply

Your email address will not be published.