Northeast 2014

Vielleicht doch der Himmel?

Marojejy
Marojejy

Kurz vor Sechs wache ich auf. Die Frösche quaken leiser, die meisten sind ganz verstummt. Warum das Camp „Mantella“ als Namen hat, ist mir schon längst klar. Im Zelt ist alles nass von der hohen Luftfeuchtigkeit. Klamm wäre deutlich untertrieben, denn alles klebt und pappt. Gegen sieben Uhr versammeln wir uns zum Frühstück auf der Holzveranda. Es gibt tatsächlich Makasoka! Gestern hatte ich Patrick zwei Tütchen Salami übergeben, mit der (zugegeben nicht ganz so ernst gemeinten) Bedingung, dass er mit Küchenchef Bi Makasoka zum Frühstück absprechen möge. Und nicht nur das gibt es, sogar Crepes hat die Küchenmannschaft im tiefsten Regenwald zustande gebracht. Dazu haben sie leckere Tamarindenmarmelade (mit liebevoll geklebtem Tesafilmring als Verschluss am Deckel) und Honig in PET-Flaschen dabei.

Nach dem Frühstück machen Tanala, Dimby, Sakilée und ich uns auf zur Piscine naturelle, ungefähr einen Kilometer entfernt vom Camp. Dazu muss man exakt den Pfad zurückgehen, den wir gestern hochgelaufen sind – aber eben nur einen Kilometer weit. Leider ist es natürlich der steilste Teil des Weges. Erstaunlicherweise läuft es sich ganz prima nach unten, auch wenn ich den Regenwald selbst im Laufen nicht genießen kann. Ich bin damit beschäftigt, mich auf den Boden unter meinen Füßen zu konzentrieren und zu schauen, wo ich hintrete. Der Himmel ist bewölkt, soweit man ihn durch das dichte Blätterdach überhaupt sehen kann. Zwischendurch bleibt Dimby stehen und deutet uns leise, ganz langsam näher zu kommen. Durch verworrenes Wurzelgeflecht erkenne ich einen dicken, braunen Vogel, der langsam von uns weghüpft. Irgendeine Taubenart ist es wohl. Nach 800 Metern stoppen wir an einem Bach, um einige Aufnahmen mit Stativ zu machen. Ohne Stativ und langer Belichtungszeit bekommt man in diesem dichten Wald einfach keine Bilder hin. Und dieser Regenwald hat viele Fotos verdient, er ist einfach fantastisch und kaum zu beschreiben. Jeder kleinste Baum ist mit Farnen, Moosen und Orchideen bedeckt, überall grünt und blüht es. Frösche hupfen durch’s Laub. Es zirpt, quakt und zwitschert überall. Einige Zikaden klingen eher wie Kreissägen und sind auch ähnlich laut. So schön der Regenwald jetzt ist, so anstrengend ist er aber auch. Die Hölle und das Paradies in einem… Mosesys Wanderstock leistet auch heute gute Dienste.

Sakilée und Dimby haben schnell raus, wo sie uns helfen können und wie sie wann am geschicktesten die Rucksäcke oder deren Inhalt anreichen. Nach einem ausführlichen Fotoshooting am Bach laufen wir einige hundert Meter weiter zur Piscine naturelle mit dem dazugehörigen Wasserfall. Das Stativ steht am Schluss auf einem nassen Felsen direkt vor dem kleinen Gewässer, und ich hangele mich zwischen den rutschigen Steinen entlang, um ohne ins Wasser zu fallen dorthin zu gelangen. Nebenbei entdecke ich noch eine winzige, gelbe Stachelspinne, die sich auf meinen Rucksack herunterlässt. Ich verpflanze sie wieder zurück auf die über’s Wasser hängenden Blätter, nachdem ich ein paar Aufnahmen gemacht habe.

Schließlich müssen wir den ganzen Weg zurück ins Camp wieder nach oben. Allerdings habe ich ja gerade ein geliehenes Stativ – und so halten wir alle 20 Meter, um ein oder zwei Fotos aufzunehmen. Dimby und Sakilée sind wohl eher belustigt, aber schließlich will ich ja auch Regenwald- und nicht nur Tierfotos haben. Der Weg wird dadurch weniger anstrengend, aber auch viel länger. Schneller als gestern sind wir trotzdem. An einigen Stellen bin ich allerdings von alleine schneller unterwegs, denn es gibt hier äußerst unangenehme, dicke Fliegen und Bremsen, die schmerzhaft beißen und denen man lediglich durch schnelleres Laufen entgehen kann. Gegen Mittag sind wir zurück im Camp Mantella. Oben angekommen bin ich wieder klatschnass geschwitzt. Zuerst ziehe ich die Schuhe aus, und leihe mir stattdessen für’s Herumlaufen im Camp blaue Schlappen von einem der Jungs. Sie sind viel zu groß, aber meine aufgeweichten Füße müssen mal an die Luft und außerdem will ich meine Schuhe mal „trocknen“ lassen (haha, der war gut!).

Marojejy
Liebevoll sortiertes Karottengedeck

Aus der Küche duftet es bereits nach Hühnchen mit Sauce, dazu gibt es Reis und Gemüse. Da die Tanalahorizon-Gruppen wohl sehr gerne hier gesehen sind, machen sich die Jungs richtig Mühe mit dem Essen und legen sogar das Wort „Tanala“ aus geriebenen Karotten. Als Nachtisch gibt es leckere kleine Bananen. Während und auch nach dem Essen flitzen immer wieder Phelsumen über die Tische und das dunkle Holz der Hütten. Sobald ein Fleckchen Sonne auftaucht, sind die kleinen Geckos garantiert zur Stelle und nehmen ein Bad. Apropos Bad, ich besichtige am Mittag auch die Dusche neben dem Klo. Beides ist, durch eine Holzwand getrennt, in derselben Holzhütte mit Wellblechdach untergebracht. Der Boden besteht aus Holzlamellen, die ein wenig über dem Boden liegen, damit man bei Regen nicht im Schlamm steht. Neben einem weißem Porzellanklo existiert sogar ein kleiner Spiegel in der Dusche. Die in der Nachbarschaft sitzende riesige Spinne verhindert allerdings, dass ich die Räumlichkeiten mehr als zwingend notwendig nutze. Das Klo wird übrigens jeden Morgen geputzt. Kein Scherz. Mit neongrünem Toilettenreiniger.

Phelsuma im Zucker
Ein kleiner Taggecko am Zuckerbecher

Der ganze Tag heute ist zum Ausruhen und für erste Erkundungszüge rund um das Camp vorgesehen. Ursprünglich wollten wir heute zu Camp Marojejya (Camp 2) laufen, doch in der Nacht hat es stark geregnet. Die nassen Zelte zusammenzufalten und einzutüten hätte bedeutet, dass sie auch innen nass geworden wären und wir damit gar nichts einigermaßen Trockenes mehr gehabt hätten. Also bleiben wir in Camp Mantella und unternehmen nur einen Tagesausflug zum Camp Marojejya. Mir ist es Recht, so habe ich etwas mehr Zeit zur Regeneration. Kurz nach Mittag findet sich ein buddelndes Furcifer pardalis Weibchen, das offensichtlich Eier ablegen möchte. Sie hat ihren Ablageplatz denkbar ungünstig gewählt, denn sie gräbt direkt neben dem Weg, nur wenige Meter von der Treppe zum Camp entfernt.

An der ersten Kurve des gleichen Weges sitzt ein Uroplatus giganteus-Weibchen am Baum. Als die Jungs sie vorsichtig vom Baum pflücken, wird sie schnell äußerst garstig und beißt nicht nur, sondern springt auch fast einen Meter weit. Viele Fotos später wird sie wieder exakt auf dem Ast zurückgesetzt, wo sie gefunden wurde. In Richtung des Humbert-Wasserfalls liegt direkt neben dem Camp ein großer Bambushain mit riesigen, in den Himmel ragenden Bambusstämmen. Eigentlich ist der Bambus hier eine eingeschleppte, nicht heimische Art, aber bei den hiesigen Klimaverhältnissen wächst das Zeug (leider) prächtig. Überall rund um das Camp ragen die riesigen, dünnen Bambusstäbe weit in den Himmel. Zu Nutze machen sich die riesigen Pflanzen eine Gruppe Bambuslemuren, die bis auf etwa zehn Meter ans Camp herankommt. Die kleinen braunen Kerlchen mit den großen Augen sind sehr neugierig. Im ganzen Camp findet man außerdem viele Mantellen. Die kleinen bunten Fröschlein hupfen sogar auf dem Klo herum – was wenigstens von den monströsen Spinnen ablenkt. Das häufigste Tier neben den Fröschen sind Saftkugler, große schwarze Gesellen, die sich bei Berührung zu einer perfekten Kugel, tischtennisballgroß, zusammenrollen.

Das Furcifer pardalis-Weibchen am Wegrand buddelt über Stunden – angeblich buddeln die Weibchen oft am Wegrand, weil der Sand dort grabfähiger ist als der feste Lehm- und Felsboden im umliegenden Wald. Ein passendes Männchen finden wir direkt im Gebüsch am Rande des Camps, obwohl Mosesy sagt, sie würden hier oben nur selten vorkommen.

Am Nachmittag kommt plötzlich die Sonne raus und ich beeile mich sofort, es den anderen gleichzutun und meine nassen Klamotten  und Schuhe auf den großen Felsen im Camp zu verteilen. Die sonnenden Schildechsen müssen mal kurz Platz machen. Das Wetter wechselt hier extrem schnell, in fünf Minuten kann es sich von strahlender Sonne und blauem Himmel zu völlig bewölkt und strömendem Regen ändern. Meine Schuhe stinken bestialisch, es riecht nach  einer Mischung aus verdrecktem nassen Hund, stinkigen Socken und Durian. Selbst leicht angetrocknet ist der Gestank in Kombination mit den verschwitzt-nassen Socken kaum zu ertragen. Patrick hat sich mit einem großen Heft Deutsch-Vokabeln an den Gemeinschaftstisch gesetzt und lässt sich die ein oder andere Redewendung vorsagen. Ich nutze die Gelegenheit, meine Malagasy-Vokalben zu erweitern und meine Kärtchen endlich zu lernen.

Den Fieldguide von Glaw und Vences habe ich inzwischen auch ausgepackt. Ich habe einige der seit 2007 neu beschriebenen Spezies hinzugefügt, wodurch das Buch deutlich voluminöser geworden ist. Nach ein wenig Zögern verschwindet der Fieldguide relativ schnell für die nächsten Tage unter den Guides. Donnat schreibt am Abend eifrig Froschsspezies inklusive Erkennungsmerkmale und den typischen Rufen ab, alles natürlich handschriftlich in ein kleines Heftchen. Die Guides haben keinen eigenen Fieldguide, da es hier in der Gegend keinen zu kaufen gibt (und er nebenbei auch zu teuer wäre). Einen einzigen Fieldguide gibt es im Nationalpark, und der steht im Park Office und darf auch nur dort benutzt werden. Nutzloser kann man ein Buch in Marojejy wohl nicht aufbewahren. Naja, mein Fieldguide hat jedenfalls schnell Freunde im Camp und bis zur Abreise bekomme ich ihn nur noch selten mal zu sehen.

Zum Abendessen gibt es kleine Klumpen Zebufleisch, die extrem zäh sind. Man kann zwanzig Minuten auf einem Stück rumkauen, ohne dass es sich merklich in seiner Struktur verändert. Schnmecken tut’s aber schon. Dazu gibt’s Spaghetti, Kartoffeln und Karotten – und auch für unseren Möchtegern-Vegetarier gibt es eine Extrawurst. Die zum Dessert gereichte Mango ist süß und das Fruchtfleisch enthält kaum Fasern, ganz anders als die importierten und nachgereiften Mangos zu Hause.

Marojejy
Marojejy

Später am Abend gehen einige Flaschen Rum um den Tisch, und Mosesy und einige der anderen Männer setzen sich zu uns. Es ist stockfinster und nur ein paar Kerzen am Tisch spenden Licht. Mosesy erzählt Traditionen, Legenden und Mythen, und zwischen Geschichten von seiner 116-jährigen Oma und seinen sieben Kindern kann man oft nicht ganz entscheiden, was wahr ist und was eher ausgeschmückte Legende. Er gehört zum Volk der Betsimisaraka und sieht es als seine moralische Pflicht, viele Kinder zu haben. Das Problem des hohen Bevölkerungszuwachs Madagaskars in den letzten Jahren sieht er aber ebenfalls und so entsteht ein spannender Austausch madagassischer und deutscher Weltansichten. Eine Tradition der Bestimisaraka ist es übrigens, dass ein junger Mann sich zuerst seinem Großvater anvertraut, wenn er ein Mädchen heiraten möchte. Daraufhin wird der Stock des Großvaters vor das Haus der Familie der Angebeteten gestellt – holt die Familie den Stock ins Haus, stimmt die Familie zu und der Großvater erhält seinen Stock während der Hochzeitszeremonie zurück. Lehnt die Familie ab, verliert der junge Mann nicht sein Gesicht gegenüber der eigenen Sippe. Und woher kommt eigentlich der Name des Rums, Dzama? Auf Madagaskar sagt man, es sei eine Abkürzung, zusammengesetzt aus den Namen der letzten fünf Präsidenten (Ratsiraka Didier, Zafy Albert, Marc Ravalomanana, Andry Rajoelina). Denn der Rum mache einen genauso wirr im Kopf wie die Präsidenten mit ihren vielen Wahlversprechen….

Es kommt mir vor wie mitten in der Nacht, als ich Richtung Zelt gehe. Tatsächlich ist es gerade Mal neun Uhr abends, nur ist es eben schon seit 18 Uhr dunkel. Um unser Zelt zirpen Grillen und zwei Frösche liefern sich ein unmelodisches Quak-Duell (was die übrigen Nächte hier andauern wird).

Published by Alex

Alex ist 35 Jahre alt, wohnt in der Nähe von Mainz und ist im echten Leben fernab des Urlaubs Tierarzt mit Faible für Reptilien. Sie fotografiert und reist gerne - so entstand auch dieser Blog. Nebenbei hält sie selbst Chamäleons zu Hause, schreibt an wissenschaftlichen Veröffentlichungen, betreibt ein kostenloses OnlineMagazin und erstellt Malbücher für madagassische Kinder.

Leave a Reply

Your email address will not be published.