Ostküste 2016

Zurück im Königreich der Stufen

Ranomafana
Ranomafana

Als ich am Morgen die hölzerne Tür des Bungalows öffne, schaue ich direkt auf die in Nebel gehüllten grünen Hügel auf der anderen Seite des Flusses. Ich mache mich schnell fertig und sortiere dann den Fotorucksack, so dass ich möglichst alles dabei habe für den Tag. Im besten Fall muss ich bis heute Abend kein einziges Mal die ganzen Stufen bis zum Bungalow hochlaufen. Varinia und Gunther winken schon von einem Baum wenige Meter entfernt. Sie haben einen Kometenfalter gefunden, der gerade zum Trocknen ruhig auf einem Blatt sitzt.

Vor dem Restaurant auf der schmalen Terrasse sind viele kleine Tische zu einer langen Tafel mit grüner Tischdecke zusammengeschoben worden. Große gelb-rosa Tassen stehen umgedreht auf Untertassen auf jedem Platz. Ich bestelle ein Sandwich, und derweil tauchen auch die anderen nach und nach beim Frühstück auf. Das Sandwich entpuppt sich als geringfügig riesig, fast so wie in Andasibe. Es gibt wohl auf Madagaskar eine Baguette-Standardgröße, die auch für Sandwiches benutzt wird.

Gegen neun Uhr bringen Christian und Rapha uns mit dem Bus nach Ranomafana. An einem kleinen Geschäft rüsten sich alle mit Wasserflaschen aus, dann geht es weiter zum Nationalpark. Zuvor halten wir jedoch nahe Diamondras Haus an, unserem Guide in Ranomafana. Er hat in seinem Garten – oder vielmehr den verwilderten Bäumen und Büschen neben den Hütten – schon heute früh nach Furcifer balteatus gesucht, und präsentiert uns stolz ein Männchen, ein Weibchen und sogar ein Jungtier. Eine ganze Weile bleiben wir an dem großen Baum zum Fotografieren, bis wir wieder in den Bus klettern. Wir wollten doch eigentlich noch in den Nationalpark… Der Bus biegt in die gepflasterte Einfahrt ein. Meine Gruppe besteht aus Tanala, Gunther, Varinia, Ines, Markus, Chrissi, Dimby und mir. Eine ziemlich große Gruppe, aber der Tag wird trotzdem gut – und sehr lustig.

Dieses Jahr haben wir wirklich Glück mit dem Wetter. Die Sonne kommt raus und der Himmel ist blau, als wir die Brücke über den großen Fluss überqueren. Direkt davor finden sich winzige, schwarze Giraffenhalskäfer, laut den Guides „baby giraffe-necked weevils“. Bei Käfern gibt es allerdings kein Nymphenstadium, daher handelt es sich dabei wohl eher um eine eigene Art, nämlich Trachelophorus madegassus. Direkt an der Brücke hangelt sich ein Calumma tjiasmantoi über durchlöcherte Blätter, und wenige Meter daneben sitzt eine riesige Nephila madagascariensis In ihrem goldenen Netz. Der Wasserstand des Flusses ist auch hier nicht sehr hoch, und so sieht man heute mehr von den Felsen am Fluss, die letztes Jahr noch vollständig vom Wasser verdeckt waren. Auf der anderen Seite der Brücke kommen wir auch nicht gerade weit: Ein riesiger, grüner Boophis albilabris sitzt auf einem Ast. Auf dem Weg die Stufen nach oben durch den Regenwald sind dieses Jahr viele kleine Orchideen am Blühen. Als wir vom Hauptweg abbiegen, entdeckt Diamondra Bambuslemuren. Zu dritt kuscheln sie sich auf einem Ast zusammen und beobachten uns, und wir sie. Anscheinend haben sie sich schon zum frühen Mittagsschläfchen eingefunden. Ein hübsches, aber nahezu perfekt in Braun getarntes Brookesia superciliaris spaziert auf Hüfthöhe einen Ast entlang. Ich nenne die gewundenen, lianenartigen Äste ganz gerne Brookesia runways, weil man in Ranomafana häufig genau dort Erdchamäleons findet.

Mittags rasten wir unter der Schutzhütte am Aussichtspunkt. Beeindruckend bunte Phelsuma quadriocellata flitzen über die grün gestrichenen Holzbalken. Die Aussicht in den grünen Regenwald und auf das Centre ValBio ist gar nicht übel. Unsere Pause wird jäh unterbrochen, als unter der Hütte grunzende Laute zu vernehmen sind, die Baumwipfel wackeln. Wir schleichen uns hinter Diamondra an der Aussichtsplattform nach unten, und stehen plötzlich vor einer kleinen Gruppe Eulemur rufus. Eine Weile können wir die Tiere toll beobachten, dann verschwinden sie genauso schnell, wie sie gekommen sind.

Unsere Runde durch den Regenwald geht weiter, und Diamondra hat etwas ganz Besonderes für uns: Einen winzigen Baby-Blattschwanzgecko. Mein erster Uroplatus phantasticus in Ranomafana! Das kleine Ding passt komplett auf meinen Daumen, und hat Wahnsinnsfarben: Einen orange marmorierten Bauch und viele zarte, weiße Linien auf dem rötlich-braunen Körper. Ein kleines Meisterwerk der Natur, und dazu noch perfekt getarnt. Wie genau Diamondra diesen Winzling im Dickicht hat finden können, bleibt wohl sein Geheimnis.

Wegen der Edwards-Sifakas geht es dann doch nochmal querfeldein. Wir folgen einem sehr schmalen, matschigen Pfad bis zu einem Hügel, wo bereits Alejandro und ein paar andere stehen. In zehn, zwanzig Meter Entfernung springen die Sifakas vorbei, sie haben gerade ihre Pause beendet. Gewisse andere Tiere sind auch sehr aktiv: Blutegel. Unmengen davon kriechen in dem sumpfigen Gelände hier herum. Nachdem jeder die ersten zehn von Füßen und Beinen geklaubt hat, beschließen wir gemeinschaftlich, dass wir genug von den Sifakas gesehen haben und den Sumpfhügel lieber verlassen. Sonst sind nämlich heute wirklich wenig Blutegel unterwegs. Alejandro ist übrigens noch länger stehen geblieben. Laut eigener Aussage hatte er allein in einem Gummistiefel mehr als 20 Blutegel. Gut, wir hatten ihn gewarnt, dass die Idee mit den Gummistiefeln in Ranomafana…ja… nicht die beste ist. An einem matschigen Hang auf dem Rückweg deutet Dimby plötzlich neben sich: Da sitzt ein sich paarendes Pärchen Parectatosoma cf. echinus, bizarr aussehende Gespenstschrecken. Die Tierchen sind trotz ihres skurrilen Äußeren aber völlig harmlos.

Irgendwann geht es die vielen Stufen Ranomafanas zurück zum Park Office. Alle sind geschafft, aber glücklich. Es war ein toller Tag im Regenwald. Und die kleinen Regenwaldwunder sind noch nicht zu Ende: An einem kleinen Busch nahe der Treppe finden wir doch noch einen echten, roten Giraffenhalskäfer. Nach und nach trudeln alle Gruppen wieder auf dem Kopfsteinpflaster des Parkplatzes ein, und wir steigen in den Bus. Es geht die vielen Kurven wieder nach unten, nach Ranomafana und durch das Dorf hindurch zum Hotel.

Giraffenhalskäfer
Der „echte“ Giraffenhalskäfer

Erstmal ein kühles THB! Und dann ein frühes Abendessen mit dem im Manja üblichen riesigen Portionen. Sobald es dunkel wird, wollen wir zu einer Nachtwanderung entlang der Straße aufbrechen. Zum zweiten Mal am Tag geht es also die vielen Kurven wieder nach oben. Die Gruppe verteilt sich schnell entlang der Straße. Es ist stockfinster, die Lichter der Kopflampen streifen über Bäume und Gebüsch. Ab und zu fährt mal ein Auto vorbei, in dessen Lichtkegel man einen leichten Nieselregen erkennen kann. Erstmal gibt es nicht soviel zu sehen, und ich habe schon Sorge, dass unser  extrem erfolgreicher Chamäleonabend im letzten Jahr ein Einzelfall war. Aber die Tiere finden sich doch noch, nur weiter verteilt, da es deutlich trockener ist. Diamondra findet nach 20, 30 Metern ein adultes Calumma glawi, während Dimby fast direkt gegenüber des Busses ein Jungtier der selben Art findet. Es ist winzig und sitzt mit eingerolltem Schwanz an der Spitze eines kleinen Blattes.

Und das ist noch längst nicht alles. Martin entdeckt auf der Flussseite der Straße ein wunderschönes Calumma oshaughnessyi mit grandiosen Schlaffarben. Es leuchtet gelb wie eine Zitrone auf seinem dünnen Ästchen. Es gibt viel zu Fotografieren… Als ich gerade von Christian auf einen auf Moos und Flechten extrem gut getarnten Uroplatus sikorae hingewiesen werde, hält ein zweiter Bus neben unserem. Eine Gruppe Tschechen steigt aus, alle in Regenponchos. Lärmend ziehen sie die Straße nach oben, scheinbar hat sich das Prinzip „alternative Nachtwanderung entlang der Straße“ auch unter den Guides schon herumgesprochen. Die Gruppe verschwindet relativ schnell wieder, wohl auch, weil es ein bisschen nieselt und die Tschechen nicht wirklich Interesse an den Tieren haben. Und Suchen ist ja schließlich langweilig… kann ich nicht finden. Im Gegenteil, es ist super spannend, im Gebüsch nach kleinen, leuchtenden Kreaturen zu suchen – man weiß nie, was man als nächstes findet! Sogar eine Schlange findet sich heute Abend noch, eine Parastenophis betsileanus.

Schließlich ruft Diamondra zum Aufbruch, denn es beginnt mehr zu regnen und wir sind schon ein paar Stunden am Straßenrand unterwegs. Das Restaurant des Hotels hat längst geschlossen, als wir zurückkommen. Entsprechend geht es gleich die steilen Stufen zu den Bungalows nach oben. Gute Nacht!

Veröffentlicht von Alex

Alex ist 35 Jahre alt, wohnt in der Nähe von Mainz und ist im echten Leben fernab des Urlaubs Tierarzt mit Faible für Reptilien. Sie fotografiert und reist gerne - so entstand auch dieser Blog. Nebenbei hält sie selbst Chamäleons zu Hause, schreibt an wissenschaftlichen Veröffentlichungen, betreibt ein kostenloses OnlineMagazin und erstellt Malbücher für madagassische Kinder.

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