Nordosten 2014

Ein himmlischer Chamäleontag

Calumma parsonii
Parsons Baby

Viel zu spät erscheine ich zum Frühstück. Ich war um halb sechs heute morgen schon einmal auf, in der Hoffnung auf Nebel für tolle Regenwaldfotos. Leider war wieder kein Nebel da, also bin ich nochmal ins Bett gegangen, und prompt tief und fest eingeschlafen. Bei dem brettharten Bett ist das schon eine gewisse Kunst. Erst um halb acht finde ich mehr oder minder freiwillig aus dem Tiefschlaf, ziehe mich an und gehe nach kurzer Katzenwäsche ohne großen Umweg direkt zur Restaurantterrasse. Nach dem üblichen Zebu-Sandwich fahren Tanala, Stefan, Björn, Donnat und ich eine ganze Weile mit dem Bus zur Bananenplantage vom letzten Jahr. Wir besuchen die Calumma parsonii parsonii, und zu meinem großen Erstaunen finden wir sogar das gleiche alte Männchen, das ich schon letztes Jahr ausführlich fotografiert habe. Zwar ist der alte Kerl deutlich fitter als bei unserer letzten Begegnung, aber inzwischen leidet er unter massiver Maulfäule, die seinen Oberkiefer und die eine Seite seines Nasenfortsatzes vollständig befallen hat.

Unser zweiter Stop ist Vohimana, wo ich unbedingt nach Calumma gallus suchen will. Der Weg, an dem entlang wir das Gebüsch mit den Augen durchstreifen, hat sich nicht verändert. Am Eingang eines kleinen Dorfs entdecken wir in einem niedrigen Baum ein Furcifer bifidus-Weibchen. Donnats junger Helfer warnt uns vor den angeblich scharfen Hunden, die sich dann doch als eher ängstliche Streuner herausstellen, die schnell verschwinden, als wir mit unseren dicken Wanderschuhen näher kommen. Das bifidus-Weibchen ist wahnsinnig schnell und wendig – und entsprechend ist es extrem schwierig, auch nur ein einziges gutes Foto des kleinen Wusels zu bekommen. Die Dame hat offensichtlich Angst vor den Hühnern und nicht zuletzt der Katze zu unseren Füßen. Sie drückt sich hinter Äste, dreht und wendet sich und rennt flink stets vor der Kamera davon. Als wir sie einige Meter weiter vor ein dickblättriges Gebüsch halten, wird sie merklich ruhiger und zeigt sich ein wenig mehr von ihrer Schokoladenseite. Der rot getigerte Kater, der uns eben kurz zugeschaut hat, trägt sogar ein Halsband. Bei aller Liebe zu den Samtpfoten befürchte ich allerdings, dass das Halten von Hauskatzen und damit die völlig unkontrollierte Vermehrung dieser Tiere hier noch ein riesiges Problem werden könnte. Bekanntermaßen sind Katzen in den USA für 75% des Artensterbens verantwortlich, und hier auf Madagaskar sind kleine Reptilien und Amphibien genauso willkommenes Futter wie Spatzen und Amseln daheim. Sollten die Dorfbewohner sich in Zukunft mehr Katzen halten bzw. mehr davon als Haustiere versorgen, könnte das das Aus für die kleine Population von Calumma gallus, Furcifer bifidus und etlichen noch selteneren Arten in der Gegend bedeuten. Eine beunruhigende Entwicklung zusätzlich zum Brandroden, Überweidung und illegalem Tropenholzschlag.

Calumma parsonii
Das riesige, geduldige Parsons Weibchen und ich

Ein deutlich aufmunternderes Zusammentreffen ist der Fund eines riesigen Calumma parsonii-Weibchens. Ein echter Gigant! Das Tier wiegt sicherlich gut über 500 Gramm, ist knallgrün, ihr Bauch ist prall gefüllt mit Eiern und sie ist die Ruhe selbst. Unbeeindruckt sitzt sie auf einem Ast und beäugt die Menschen vor sich. Ich habe noch nie ein so großes Parsons-Weibchen gesehen, und erst Recht nicht auf dem Arm halten können. Eine tolle Erfahrung. Langsam, sehr langsam, und bedächtigt wandert das Tier über den angebotenen Arm – und kneift mir dabei mir ihren riesigen Füßen und Krallen ganz schön in die Haut. Dann bleibt sie sitzen, schaut mich mit ihren Charakteraugen an und wartet anscheinend darauf, einen Ast zurück auf ihren Baum angeboten zu bekommen. Sie muss nicht lange warten. Als Krönung meiner parsonii-Begegnungen entdecken wir schließlich noch ein yellow giant Baby. Der kleine Kerl ist die Niedlichkeit in Person, und kann besser Modell stehen als die großen. Nur zwei Fotos braucht es, und das perfekte ist dabei.

Da Christian sich mit dem Bus etwas verspätet, laufen wir ihm einfach entgegen. Irgendwo am Wegrand wird geräuchert, denn der ganze Pfad ist meterweit von dicken, grauen Rauchschwaden eingehüllt. Ein Grill ist nichts dagegen. Ich kann nicht wirklich erkennen, ob hinter dem dichten Gebüsch Wald abgebrannt oder tatsächlich Essbares zubereitet wird. Denkbar wäre beides.

Weg
Es ist Markttag

Auf dem Weg zurück laufen Unmengen Menschen auf und entlang der Straße. In einem größeren Dorf mitten auf unserem Weg, soll heute Markttag sein. Hunderte, ach was, Tausende von Menschen bevölkern die Straßen, tragen Obst und Gemüse, treiben Zebus vor sich her oder gehen einfach neugierig schauen, was in den Nachbardörfern los ist. Auf einer Wiese haben sich zwei etwas ungleiche Mannschaften zum Fußballspiel eingefunden, und durch die Menschenmassen auf der Straße gibt es reichlich Zuschauer, die mit Rufen und Pfeifen ihre Leute anfeuern. Immer wieder kämpfen sich große Lkws in Zeitlupe durch die vielen Menschen den grauen Asphalt entlang. Auch unser Bus wird neugierig beäugt. Ich entdecke einen kleinen Jungen mit Melaninmangel (landläufig ein „Albino“) und wundere mich, dass der Junge keinen Sonnenbrand hat. An der Ostküste Madagaskars gibt es auffällig viele  Menschen mit dieser Genmutation, aber niemand weiß so genau, warum eigentlich. Immerhin scheinen sie hier (an anderen Orten mag das anders sein, so erzählen einige Madagassen von einem abgeschotteten „Albino-Dorf“ an der Ostküste) weitgehend akzeptiert zu werden, denn der kleine Junge läuft völlig unbehelligt mit den anderen zum Fußballspiel.

Am heutigen Abend versuche ich mein Glück an der Straße nicht noch einmal, es ist immer noch trocken. Auf dem Hotelgelände gibt es noch ein hübsches Calumma emelinae mit weißen Flecken auf dem Kopf zu sehen und unweit der Hotelterrasse haben die Jungs aus der Küche einen großen Kometenfalter gefunden. Laut dem Schmetterling begeisterten Werner handelt es sich um ein gerade erst aus dem Kokon geschlüpftes Tier, das zum Trocken in Kopfhöhe Platz genommen hat. Es ist völlig makellos und wunderschön – und groß! Schnell geht die Sonne unter, das Abendessen ruft und danach steht noch eine Nachtwanderung an. Die ist zwar in den Nationalparks verboten, nicht aber in Nicht-Nationalparks. Im Dunkeln gelangen wir zu einem kleinen Wald – es ist übrigens, wie ich später erfahre, der gleiche, den ich tags darauf im Hellen noch einmal besuche.

Diesmal ist das Glück auf unserer Seite: Eine ganze Menge wunderschöner, bunter und weniger bunter Frösche lassen sich ablichten, und sogar einen Uroplatus phantasticus erwischen wir bei der Jagd auf einem Ast. Leider hat er seinen Schwanz verloren, aber statt einem Regenerat wachsen gleich zwei aus dem Stumpf hervor. Ein Furcifer wilsii-Weibchen wackelt aufgeregt im Geäst hin und her – die haben wir wohl im Schlaf gestört. In einem großen Baum entdeckt Nestor ein Calumma parsonii cristifer. Erst bei näherem Hinschauen entdecke ich, dass der merkwürdig gefärbte Nasenfortsatz gar keiner mehr ist, sondern nur noch ein vollständig verrotteter Nasenstumpf. Das arme Ding – obwohl es für die Erkrankung noch erstaunlich fit ausschaut. Dieses Jahr treffe ich wirklich viele Tiere mit Maulfäule. An einem dünnen Ast, der mitten in den Pfad baumelt, hängt ein verschlafenes Calumma emelinae, das müde in die Kamera blinzelt, und dann ein paar Zentimeter weiterläuft, um sich hinter ein Blatt zu drehen und weiterzuschlummern. Nestor zeigt mir plötzlich einen großen, davon laufenden Vogel. Zuerst will ich mich leise anschleichen, aber Nestor meint, ich soll mich beeilen und nicht so langsam trödeln. Dann sehe ich auch warum: Die beiden großen Vögel laufen den Weg entlang vor uns weg, und wer schnell läuft, kann zumindest noch einen kurzen Blick auf sie erhaschen. Irgendwann geht es wieder zurück. Ich könnte noch etwas hier bleiben, es gibt soviel zu sehen! Aber gut, das Bett ruft.

Veröffentlicht von Alex

Alex ist 35 Jahre alt, wohnt in der Nähe von Mainz und ist im echten Leben fernab des Urlaubs Tierarzt mit Faible für Reptilien. Sie fotografiert und reist gerne - so entstand auch dieser Blog. Nebenbei hält sie selbst Chamäleons zu Hause, schreibt an wissenschaftlichen Veröffentlichungen, betreibt ein kostenloses OnlineMagazin und erstellt Malbücher für madagassische Kinder.

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