Nordosten 2014

Von Schmugglern und Stränden

Nosy Mangabe
Nosy Mangabe

Pünktlich um halb Acht erscheine ich zum Frühstück in unserer Gemeinschaftshütte. Der Tag beginnt mit süßen Bananen. Die Stimmung ist gut, obwohl wir die eigentlich geplante Exkursion in den Masoala-Nationalpark nicht machen werden können. Die Flut ist immernoch gut anderthalb Meter zu hoch, das Wetter ist mäßig und das Meer ziemlich aufgewühlt. In der Ferne zieht eine dustere Wolkenwand herauf – die mehrere Stunden dauernde Fahrt nach Masoala würde wohl noch gut gehen, aber bei dem heute Mittag zu erwartenden Unwetter ist unklar, ob wir überhaupt zurückfahren könnten. Und in einem Regenwald ohne Essen, Zelt oder anderen Schutz herumsitzen und auf besseres Wetter bei Tageslicht hoffen  – das muss nicht sein. Mitten während des Frühstücks ruft Tanala plötzlich „Oh, da ist ein Lemur!“ – direkt vor der Hütte sitzt ein Eulemur albifrons am Stamm eines dünnen Baumes und beobachtet uns beim Frühstücken. Vielleicht spekuliert er auch auf eine Banane oder anderes Obst, aber schon nach wenigen Minuten verschwindet das Tierchen wieder zurück in den Wald.

Kurz nach dem Frühstück findet Augustin eine Leioheterodon madagascariensis, die sich mitten auf dem Weg zum Wasserfall sonnt. Er ruft uns und mit Hilfe des Schlangenhakens und flinker Hände können wir sie einige Meter weiter zur Lichtung bugsieren, um ein paar schöne Aufnahmen zu machen. Leider ist die stattliche Dame wenig begeistert von diesem Vorhaben, und dazu unglaublich schnell. Kommt man dem vorderen Ende zu nahe, beißt sie, und fasst man das hintere Ende an, entledigt sie sich dem Inhalt ihrer Stinkdrüsen. Nach kaum einer Minute entwischt sie blitzschnell aus Patricks Händen in Richtung Gebüsch, und als Patrick ihr hinterher hechtet, stellt sie sich plötzlich auf, droht mit nach vorne gestrecktem Kopf und beißt in seine Richtung. Mit einem lauten Quietschen springt Patrick zurück  – und die Schlange entkommt. Augustin erwischt sie zwar noch einmal kurz, aber letztlich taucht die große Trugnatter in einem dicken Laubhaufen unter.

Leioheterodon madagascariensis
Die Hakennasennatter

Der Vormittag bietet jedoch noch genug Gelegenheiten für schöne Fotos. Durch den langen Regen heute Nacht und das stetige Nieseln seitdem wimmelt es nur so von Fröschen. Waren es bis gestern schon viele, so sind jetzt Unmengen Mantella laevigata unterwegs. In den zusammengerechten Laubhaufen direkt zwischen Strand und Lichtung sitzen sie und quaken lauthals. Allein auf einem Quadratmeter finde ich fast zwanzig Tiere dicht beieinander und sogar einige Kämpfe zwischen konkurrierenden Männchen kann ich beobachten. Auch andere Arten springen herum, sie sind wegen ihrer weniger auffälligen Farben nur etwas schwieriger zu entdecken. Wobei, von schwierig kann hier eigentlich gar keine Rede sein.

Wie gestern gönne ich mir eine kalte Dusche unter dem kleinen Wasserfall nahe des Camps, um frisch geduscht direkt neue Schichten Anti-Brumm aufzutragen. Da so früh noch Ebbe ist und es noch etwas dauern wird, bis die Flut zurückkommt, mache ich nun das, was ich eigentlich gestern Nachmittag schon vor hatte: Einen Spaziergang entlang des Strandes auf der Suche nach Furcifer pardalis. Gestern war die Flut leider zu lange zu hoch, und als der Strand endlich wieder einigermaßen begehbar war, wurde es schon dunkel. Langsam spaziere ich den goldfarbenen Strand entlang. Meine Füße sinken in den weichen, hellen Sand. Ich überquere einige mit Wasser gefüllte Priele und suche mit den Augen nach und nach die großen Bäume am Ufer ab. Einige stehen bei Flut tief im Wasser, andere lassen nur ihre Krone über das Wasser ragen. Die Äste wiegen sich sanft im Wind. Auf ein paar der großen, schwarzen Felsen bleibe ich einen Moment sitzen und genieße die Aussicht, das Meer und den schönen Strand. Tatsächlich finde ich auf meinem Weg einige Pantherchamäleons, alles kleine rosa Weibchen. Auf dem Rückweg finde ich lediglich ein einzelnes Männchen. Entweder sind die Männchen schlechter zu entdecken, oder die Weibchen suchen die Strandnähe zur Eiablage auf, weil der sandige Boden das Graben erleichtert. Nach rund zwei Stunden schlendere ich zurück Richtung Camp, denn die Flut kommt langsam zurück – und nebenbei ruft das Mittagessen. Direkt am Strand finde ich ein einzelnes Chamäleon-Ei, das sogar befruchtet aussieht – ob es das Weibchen direkt über mir im Baum fallen gelassen hat?

Kurz vor dem Camp entdecke ich jemanden in neongrünem T-Shirt auf einem der großen Felsen am Strand stehen – und telefonieren. Der Felsen ist die „Telefonzelle“ Nosy Mangabes, denn nirgends anders auf der Insel gibt es Empfang. Eine gewisse Situationskomik ist schon vorhanden, wenn da ein kleines Männchen in grell leuchtender Kleidung am Rand des Regenwalds auf einem Felsen steht und mit ausgestrecktem Arm im Wind zu telefonieren versucht.

Auf dem Weg zu meinem Zelt trete ich fast auf auf eine der vielen Schildechsen. Im Baum, in den ich gestern das verletzte Chamäleon gesetzt hatte, sitzt der Patient immernoch. Wie ein Faultier hängt er kopfüber an einem horizontalen Ast. Vor lauter Stress häuter er sich schon am Kopf und im vorderen Bereich des Körpers, was ich nicht gerade als gutes Zeichen werte. Vorsichtig bugsiere ich ihn zurück auf den Ast und helfe ihm, ein paar Äste weiter nach oben zu klettern, ohne wieder herunterzufallen.

Sandra tischt gegrillten Fisch und Reis auf. Grätenfrei ist hier ein Fremdwort, und so zupfe ich den Fisch mit den Fingern auseinander. So ganz meins ist der rauchige Geschmack definitiv nicht, aber dafür kann ich einige Tomaten-Mais-Salate mehr im Tausch haben. Nach dem Essen sitzen alle noch eine Weile beisammen, sinnieren über das Inselleben und leeren die beiden Teller mit Bananen. Ich versuche, meine unzähligen Mückenstiche mit einem Hitze entwickelnden Gerät auszubrennen, das meiner Meinung nach aussieht wie ein Schwangerschaftstest. Naja, solange es hilft. Oben vor dem Haus gackert es plötzlich laut und aufgeregt – es lassen gerade wieder einige gefiederte Mitbewohner ihr Leben für das Abendessen. Auf der anderen Seite der Insel brüllen gerade mal wieder die Varis sich an, aber das wohl eher aus Gründen der Revierverteidigung. Konkurrenz machen ihnen von der Lautstärke her nur die Kreissägen-Zikaden, die ich schon von Marojejy kenne und von denen es hier auch etliche gibt. Unglaublich, dass ein so kleines Insekt derart laut sein kann. Überhaupt ist heute alles sehr laut – die Brandung rauscht mit lautem Krachen gegen den Strand und die Felsen, und hohe Wellen türmen sich im Meer auf.

Kröte
Was man auf dem Weg zum Zelt am Nachmittag findet

Inzwischen ist die Flut auf ihrem Höchststand, und macht wie gestern keinerlei Anstalten, wieder zurückzugehen. Patrick will etwas mehr Deutsch lernen und ich Malagasy – das trifft sich gut, und so lernen wir beide etwas. Ein paar unserer Gruppe unternehmen einen Ausflug mit Jean-Emil zum alten Leuchtturm auf der anderen Seite der Insel: Ein verrosteter kleiner Turm, der angeblich sogar noch genutzt wird. In der Hütte bleibt man nicht lang allein – kaum stehen ein paar Flaschen Rum auf dem Tisch, setzen sich Guides und Inselwächter zu uns, um tatkräftig beim Verzehr der Getränke zu helfen. Im Gespräch mit ihnen erfährt man so einiges über die Insel. Zum Beispiel erfahre ich, dass so gut wie keine Touristen nach Nosy Mangabe kommen, obwohl es einfach eine Trauminsel ist. Werbung gibt es kaum, die Anreise per Flugzeug über Sambava oder Toamasina ist beschwerlich und nur einzelne Reiseanbieter haben die Gegend überhaupt in ihrem Programm. Mehrere Nächte bleibt hier im Jahr nur eine einzige Gruppe – wir. Eine Verdienstmöglichkeit für Küchencrew oder Inselwächter, die nicht local guides sind, gibt es also auf der Insel den Großteil des Jahres gar nicht.

Weshalb und vor allem wegen wem die Nachtwanderungen in den Nationalparks verboten wurden, erzählen uns die Männer auch. Ich kann nur staunen, wie manche Menschen ihre Lemuren-Hochglanzfotos für das ein oder andere Buch zu Stande bringen oder allen Ernstes versuchen, trotz absolutem Verbot Tiere von der Insel zu schmuggeln. Etliche sehr bekannte Namen fallen, und das ist mehr als traurig. Seit dem Nachtexkursionen-Verbot erzählen außerdem einige Hoteliers in Maroantsetra ihren Gästen, es gäbe keine Aye-Ayes mehr auf Nosy Mangabe, weshalb eine Fahrt dorthin sich nicht lohnen würde. De facto gibt es jedoch sogar Studien über die Fingertiere der Insel, und man kann am Tage etliche Fraßspuren an den Bäumen finden. Die Männer bestätigen, dass definitiv Aye-Ayes auf der Insel leben – nur sind sie eben nachtaktiv. Dazu fehlt den Inselwächtern wie den Guides die nötige Ausrüstung, nicht einmal Taschenlampen haben sie. Solche Gespräche stimmen mich sehr nachdenklich. Wem liegt überhaupt etwas an dieser Insel und wer außer der Hand voll Menschen hier sorgt für den Schutz der seltenen Arten?

Nosy Mangabe
Rum im Kerzenschein

Wir warten mit dem Abendessen, bis alle wieder beisammen sind. Die Hühner von heute morgen haben ihren Weg ins Essen und unter die Nudeln gefunden. Ich krieg aber absolut kein Malagasy sportive chicken, wie ich die Hühner getauft habe, mehr herunter. Also begnüge ich mich mit einer großen Portion Nudeln pur und genieße danach flambierte Bananen. Es ist unser letzter Abend auf der Insel, und Björn spendiert nach dem Abendessen die übrigen Flaschen Rum mit Cola. Wir versammeln uns gemeinsam mit den Guides und Inselwächtern zu einer geselligen Runde unter dem Dach unserer Gemeinschaftshütte. In einer kleinen Kabary dankt man sich gegenseitig für den Besuch, die tollen Führungen über die Insel, die gute Küche und die schönen gemeinsamen Tage. Jean-Emil übt sich in einigen Worten Deutsch – und zur Überraschung aller kann er „Wir lagen vor Madagaskar“ in nahezu perfektem Deutsch singen (und selbstverständlich singt er es auch vor). Sogar die zweite Strophe bekommt er problemlos hin, während die meisten von uns schon Mühe haben, sich an den Text der ersten zu erinnern. Damit erklärt sich mir jetzt auch, wer am ersten Tag ständig „Oh Tannenbaum“ im dichtesten Regenwald pfiff… Tanala erzählt die Geschichte, woher der Name Vazaha kommt  und Augustin übersetzt die Legende  – deutlich dramatischer und mit wesentlich mehr Gestik –  auf Malagasy. Die Madagassen hier haben die Angewohnheit, die letzten Wörter jedes Satzes noch einmal zu wiederholen, so dass eine eigentlich kurze Unterhaltung unfreiwillig doppelt so lang wird. Das klingt dann in etwa so:

„There once was a king and a queen.“
„A king and a queen, ya…“
„They had a son.“
„A son, ya… The king and the queen?“
„Yes, the king and the queen had a son…“
„Had a son, ya….“
„They called him Vazaha….“
„Vazaha, ya…“

Und so weiter. Obwohl ich nur wenig Malagasy, die meisten gar keines und die Madagassen dafür mehrheitlich kaum Englisch sprechen, wird es eine lange Nacht mit vielen lustigen Anekdoten, Albereien und Geschichten. Es ist ein Abend unter guten Freunden.

Veröffentlicht von Alex

Alex ist 35 Jahre alt, wohnt in der Nähe von Mainz und ist im echten Leben fernab des Urlaubs Tierarzt mit Faible für Reptilien. Sie fotografiert und reist gerne - so entstand auch dieser Blog. Nebenbei hält sie selbst Chamäleons zu Hause, schreibt an wissenschaftlichen Veröffentlichungen, betreibt ein kostenloses OnlineMagazin und erstellt Malbücher für madagassische Kinder.

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