Nordosten 2014

Alles auf Standby

Abstieg von Marojejy
Abstieg von Marojejy

Der Abend gestern war lang und so dauert es ein wenig, bis ich mich heute um kurz vor Sieben aus dem Zelt gewurstelt habe. Gerne wäre ich noch etwas liegen geblieben. Aber dafür bleibt keine Zeit, denn das Zelt muss ausgeräumt und zusammengefaltet werden. Heute geht es zurück nach Sambava. Die Jungs haben sich zum Frühstück erneut an Makasaoka probiert, allerdings stecken Zucchini drin. Zu meinem Glück gibt es aber danach auch noch Brot und wie üblich Honig und Marmelade.

Wir brechen gleichzeitig mit den Trägern auf, die extra heraufgekommen sind, um unser Gepäck wieder abzuholen. Wie beim Hinweg überholen sie uns auch diesmal nach wenigen Metern im Laufschritt, obwohl diesmal alle deutlich fitter als noch vor einigen Tagen sind. Das Laufen fällt mir trotz schmerzender Füße und Magenkrämpfen deutlich leichter als auf dem Hinweg. Zwei Phelsumen sehen wir zufällig an Bäumen am Wegrand, aber erst beim zweiten bin ich schnell genug für ein Foto. „Nur“ anderthalb Stunden benötigen wir diesmal bis zum Parkeingang und dem Rastplatz dort. Ein Mann mäht mit einer Sense das hühfthohe Gras am Weg entlang. Da die ganze Hütte voller Moskitos ist und die Luft nur so schwirrt, ist unser Aufenthalt diesmal nur von kurzer Dauer. Schnell geht es weiter in die Ebene. Sobald ich aus dem Wald raus bin, ist die Luft deutlich stickiger und es ist merklich heißer als zuvor. Ein wenig Wind und bedeckter Himmel machen es mir jedoch gut erträglich und so laufe ich beschwingt den Weg zurück, den ich vor ein paar Tagen kaum schleichen konnte. Dabei stelle ich schnell fest, dass ich vom Hinweg eigentlich nichts mehr weiß. Dass die Reisfelder mit ihrem satten Grün sich so idyllisch vor den Bergen machen, habe ich jedenfalls nicht gesehen. Und auch an die vielen kleinen, teilweise etwas instabilen Brücken, die wir überqueren, kann ich mich in keinster Weise erinnern. Der Weg führt vorbei an unendlich vielen Reisfeldern, in einigen arbeiten Frauen und winken freundlich.

Als wir die Hütten des ersten Dorfes erreichen, begrüßen uns kleine Kinder mit „Salut Vazaha!“. Überall laufen hochbeinige dünne Hühner mit einer Menge laut tschilpender Küken herum, verschwinden im Gras und tauchen an anderen Stellen wieder auf. Einige Hunde liegen nahe den Hütten. Sie sehen erbärmlich aus, die meisten haben Räude oder andere Hauterkrankungen, sind extrem mager und schwach. Im Gegenzug zu den schlechter wegkommenden Hunden sehen die Häuser hier im Vergleich zum Nordwesten sehr viel besser aus. Viele Hütten sind bereits aus zurecht gesägten Holzbrettern gezimmert und bunt bemalt, auch etliche Steinhäuser sind darunter. Ich hole ein paar Luftballons aus dem Rucksack, was für große Augen bei den Kindern sorgt. Nehmen würden die meisten die Luftballons schon gerne, trauen sich aber nicht so recht. Sobald wir jedoch wieder gehen, freuen sich gerade die Kleinen einen Keks über die bunten Ballons. Sakilée flitzt im Dorf schnell zu seiner Hütte, um seiner Familie Hallo zu sagen, dann begleitet er uns noch den übrigen Weg bis zum Park Office. Unterwegs gibt es auch einiges Lustiges zu sehen, darunter ein originales Snoopy-Handtuch vor einer simplen Holzhütte oder ein „Kino“ aus Bretterwänden und einem winzigen Fernseher, der Filme aus den 70ern und 80er Jahren zeigt.

Doch schon hinter dem zweiten Dorf erwartet uns eine Überraschung: Auf dem Hügel hinter der kaputten Betonbrücke wartet schon der Bus. Das spart uns zwei oder drei Kilometer, die wir hätten zu Fuß gehen müssen. Zu meinem Erstaunen sind auch viele der Löcher des rot-staubigen Weges in den letzten drei Tagen ausgebessert und mit Sand aufgeschüttet worden. An einigen Stellen stehen noch Dorfbewohner mit selbst gebauten Spaten und freuen sich, dass der Bus jetzt deutlich leichter voran kommt. Sie haben gesehen, wie wir ankamen, und haben prompt für unseren Rückweg den Weg „repariert“, so gut es eben ging.

Der Bus bringt uns zurück zum Park Office, wo wir unsere Träger und Guides bezahlen. Rund 18.000 Ariary kostet ein Träger für einen Fotorucksack am Tag, das sind knapp 6 €. Die Träger, die das Gepäck nach oben gebracht haben, kosten pro Tour 8-10.000 Ariary. Da die Bezahlung angesichts des Weges verhältnismäßig gering scheint, gibt es natürlich noch Trinkgelder für die Küchenmannschaft, die local guides und die Träger. In einer kleinen Kabary sammeln sich alle noch einmal vor dem Office Haus. Stefan bedankt sich im Namen der Gruppe für die Gastfreundschaft, das gute Essen, das Zeigen vieler Tiere und allem anderen, was wir in den letzten Tagen erleben durften. Es war ein unvergessliches Abenteuer! Die jeweils ältesten der Madagassen bedanken sich im Gegenzug bei uns und hoffen, dass wir zu Hause vielen Freunden von Madagaskar erzählen, so dass vielleicht irgendwann etwas mehr Touristen nach Marojejy kommen. Auch sie hatten Freude an den Tagen in Camp Mantella und haben sicherlich in der kurzen Zeit im Vergleich zu den sonstigen hiesigen Verdienstmöglichkeiten einige Monatsgehälter verdient. Mosesy, Donnat und Nestor bedanken sich ebenfalls für den Besuch, sie haben sich riesig darüber gefreut. Man applaudiert sich gegenseitig und jeder verabschiedet sich nacheinander per Handschlag. Donnat und Mosesy fahren mit uns im Bus zurück nach Sambava, sie haben dort  noch das ein oder andere zu erledigen.

Ein kleiner Sonnenbrand
Ein kleiner Sonnenbrand vom Tag, an dem wir zu Camp Mantella gelaufen sind

Auf der Straße nach Sambava herrscht wenig Verkehr. Ab und zu begegnet uns ein überladener Lkw, immer wieder überholt uns mal ein Taxibrousse. Zebus und Ziegen stehen und laufen überall, ihre dünnen Leinen auf dem Boden hinter sich herziehend. Ein totgefahrenes Furcifer pardalis liegt auf dem Weg, ein anderes noch lebendes umfahren wir großräumig. Ebenso eine große, gelbe Schlange.

Im Hotel angekommen falle ich erstmal vornüber ins Bett  (inklusive Schuhe) und bleibe für die nächste halbe Stunde auch exakt so dort liegen. Der Tag war doch wesentlich anstrengender als gedacht und Marojejy hat jedem viel abverlangt. Den anderen geht es ähnlich, alle haben sich erstmal für ein paar Stunden in ihre Bungalows verzogen. Selbst eine Dusche kann mich erst nach besagter Zeit aus meiner Position locken. Endlich eine Dusche! Ich fühle mich wie neu geboren. Draußen hat Patrick die Zelte im Hof aufgebaut, um sie vom Schlamm zu säubern, trocknen zu lassen und dann wieder zusammenzulegen. Leider hat die Küche des Hotels wegen der fortgeschrittenen Mittagszeit schon zu. Durch Tanalas Einsatz sind sie aber bereit, uns Reis oder Gemüsenudeln mit Steak zu machen. Stefan und Björn waren etwas schlauer und sind direkt zum Essen gegangen, anstatt sich hinzulegen – sie haben leckeres Knobisteak mit Pommes bekommen. Mein Steak geht erstmal wieder zurück in die Küche, weil es nur halb durch ist, was ich hier nicht unbedingt ausprobieren will. In den zehn Minuten bis zum nächsten Anlauf trinke ich anderthalb Liter kalte Cola und ein Bier, was dazu führt, dass danach trotz vorher großem Hunger kaum Essen reinpasst. Mein Körper fühlt sich an wie Blei, ich habe irren Muskelkater und meine Knie schmerzen. Meine Füße sind immernoch so dick wie gestern. Dazu hat sich ein schicker roter Ausschlag bis zu den Knien von der in den Gamaschen gestauten Hitze gesellt. Die Magenkrämpfe von heute morgen haben grade auch wieder Konjunktur. Ohne mit den Händen nachzuhelfen, kann ich nicht mal Flip Flops auf meine dicken Füße ziehen. Es scheint so, als würde mein Körper heute nur noch auf Standby laufen.

Frosch
Boophis tephraeomystax aus den Pflanzen in den Gärten vor den Bungalows

Ich sitze noch ein bisschen vor Bungalow Nummer 9 und beobachte jede Menge gelbe Nacktschnecken in den Hecken. Dann lege ich mich nochmal hin um auszuruhen und werfe diverse Kohletabletten und Colicalm ein – auch wenn ich schon jetzt weiß, dass meine Magen-Darm-Probleme nichts mit Bakterien und Parasiten, sondern ausschließlich mit Austrocknung und Überanstrengung zu tun haben. Auf der Straße vor dem Hotel höre ich laute Gesänge, bin aber zu müde, um nachzuschauen. Später erfahre ich, dass wohl eine Beerdigung oder Prozession vorbeigezogen ist.

Kurz vor sechs Uhr führt mein Weg ins Restaurant. Die Luft riecht wahnsinnig nach Vanille. Die „Vanille-Hauptstadt“ Sambava hat ihren Namen definitiv zu Recht. Angeblich gibt es hier Wifi und der ein oder andere versucht eifrig, dieses auch zum Laufen zu kriegen. Mir ist das Wifi reichlich egal, ich schalte Handy und Tablet sowieso erst in drei Wochen wieder an. Plötzlich geht das Licht aus, und das nicht nur bei uns, sondern in der ganzen Straße. Sambava wird lediglich von zwei Stromgeneratoren versorgt, was ab und zu einfach zu Engpässen führen muss. Bei Kerzenlicht trinke ich ein Bier und esse eine kleine Portion Pommes, mehr geht nicht. Direkt nach dem Essen gehe ich ins Bett. Vom Schrank grüßt mich eine gut sechs, sieben Zentimeter große Schabe, die interessiert mit den Fühlern wackelt. Ist mir egal. Schaben sind auch nur bessere Futtertiere. Ein Gecko keckert irgendwo im Zimmer, dann bin ich schon eingeschlafen.

 

Veröffentlicht von Alex

Alex ist 35 Jahre alt, wohnt in der Nähe von Mainz und ist im echten Leben fernab des Urlaubs Tierarzt mit Faible für Reptilien. Sie fotografiert und reist gerne - so entstand auch dieser Blog. Nebenbei hält sie selbst Chamäleons zu Hause, schreibt an wissenschaftlichen Veröffentlichungen, betreibt ein kostenloses OnlineMagazin und erstellt Malbücher für madagassische Kinder.

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